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Book .S(b H^
Tta Danul QDooiNBmu Fdnd
/
Die
Fahrt der „Wega"
Über
Alpen und Jura
am 3. Oktober 189S
von
er
Alb. Heim, Jul. Maurer, Ed. Spelterini.
•^ " - -S.--'^ -». -\ *. *.-
Hit Profilen, Karten nnd zahlreichen Lichtdruckbildern.
Benno Schwabe, YerlagHbucbhandlung.
1899.
307283
•30
.0
Scbweighaaieriscbe Bnehdrnckeret.
Frau
Dr. Fanny Forst, geb. Biedermann
IN COBLENZ
IN Dankbarkeit gewidmet.
Inhaltsverzeichnis.
SeiU.
I. Erste Veranlassung und Vorbereitung zur wissenscliaftllchen Ballonfahrt
Ober die Alpen. Verfasser: Prof. Alb. Heim 1
II. Die Wega. Verfasser : Kapitän E. Spelterini 12
A. Konstruktion des Ballons, Netzwerkes und der Gondel .... 12
B. Gewichtsverhältnisse und Tragkraft 15
C. Der Gaserzeuger 16
D. Montiren der Gondel auf Wagen 17
E. Schlusswort 18
III. Die Fahrt der Wega. Verfasser: Prof. Alb. Heim 19
A. In Sitten vor der Abfahrt 19
B. Die Abfahrt 27
C. Unser Weg in der Luft und der Abstieg 28
D. Unser Befinden 40
E. Land und Berge von oben 53
F. Wolken und Farben 66
G. Nach dem Abstieg 78
IV. Die meteorologischen Ergebnisse der wissenschaftlichen Fahrt des Ballons
Wega am S.Oktober 1898. Verfasser: Dr. Jul. Maurer . . . . 82
A. Die instrumentelle Ausrüstung der Wega, Prüfung und Leistungs-
fähigkeit der Instrumente 82
B. Die Wahl des Aufstiegstages und Verbindung des Unternehmens
mit den internationalen Simultanfahrten 93
C. Meteorologische Beobachtungen und Resultate des Ballons Wega 97
D. Ergebnisse der übrigen am 3. Oktober 1898 stattgehabten inter-
nationalen Ballonfahrten 112
Wie oft im Geiste schwebt' ich über dir
du inein heiss geliebtes Alpenland !
In deine Mitsei sucht* ich einzudriyigen,
Doch bald ermatteten des Geistes Schwingen,
Wie oft im Traume flog ich adlergleich
Ob deinen Kämmen, Gipfeln, Thalern hin.
Geheimnisvoll verdüstert blieben sie,
Im Träumte lösten sich die Rätsel nie.
Nun aber, da ich dich, du schone Welt,
Mit tvachem Au>g^ aus stolzer Höh* geschaut,
Verwirrte sich mein Sinyi, und fragenleer.
Stumm blickt* ich nieder auf der Berge Heer,
Erkenntnis, du bist loigemessen fern !
Dich fasst kein Mensche^iaug' in kurzer Zeit.
Nur Schritt um Schritt kann unsi'e Forschwng geh*n
Und durch die Blendung deine Strahlen seh*n.
I.
Erste Veranlassung und Vorbereitung
zur wissenschaftlichen Ballonfahrt über die Alpen
von
Dr. Alb. Heim, Prof.
Meine Fachgenossen werden mit Recht fragen: Wie kommt
denn ein Geologe dazu, sich mit Luftschififerei zu befassen? Ich
will kurz erzählen, wie das geschehen ist.
Als Knabe hat mich die Freude an den Bergen zum Berg-
zeichnen geführt. Im Alter von zehn bis zwölf Jahren machte ich
nach eigenen Ideen mein erstes Relief der Tödigruppe in ge-
branntem Thon, und bald darauf erschien mein erstes, selbst litho-
graphiertes Panorama (vom Zurichberg) im Buchhandel. Nun
fieng ich aber mehr und mehi* an zu fahlen, dass man die Berge
erst verstehen muss, um sie in Zeichnung oder Modellierung richtig
darzustellen. So kam ich zur Geologie. Eines Tages besuchte
mich ein alter Herr; er hatte gehört, dass ich Gebirgsreliefs ge-
macht habe, er möchte sie gerne sehen. Es war Arnold Escher
von der Linth. Von da an durfte ich ihn auf seinen geologischen
Excursionen mit den Studenten begleiten. Nachdem ich meines
Meisters Nachfolger* geworden war, entwickelte sich allmählich
eine Art Reliefschule, die eine Reform ins Reliefwesen brachte,
indem sie das Relief von einer rohen mechanischen Übersetzung
der Karte ins Körperliche zu einer Darstellung hob, die mehr
bietet als die Karte, zu einer Darstellung auf Grundlage von Natur-
beobachtung und Naturverständnis. Die Frage, wie die Farben
bei einem natürlich zu malenden Relief gehalten werden sollen,
1
— 2 —
hat mich oft mit meinen ehemaligen Schülern, die das Reliefwesen
weiterpflegten (Ingenieur Imfeid, Simon, Becker etc.) beschäftigt.
Sollen die Farben so gehalten sein, wie sie in der Nähe betrachtet aus-
sehen, oder so, wie sie von einem Standpunkt aus erscheinen würden,
der ungefähr im Massstab dem Stand des Beschauerauges entspricht,
d. h. von hoch in den Lüften gesehen. Wie erscheinen sie von
dort? Soll man die Farben als durch Luftperspektive bläulich
gemildert malen oder nicht? Wir haben manches zusammen pro-
biert ohne zu abschliessendem Resultate zu kommen. In dieser
halb künstlerischen, halb wissenschaftlichen Frage empfand ich zuerst
den Wunsch, einmal frei aus den Lüften die Berge zu sehen.
Profile, Karten und Panoramen schienen mir hie und da nicht
zureichend, um verwickelte geologische Verhältnisse der Gebirge
verständlich und übersichtlich dai'zustellen. Hie und da nahm ich
zu dem Mittel Zuflucht, von einem in den Lüften liegenden, ge-
dachten guten Standpunkte aus die Ansicht einer Gebirgsgruppe
zu konstruieren. Auch benützte ich das geologisch kolorierte Relief,
um geologische Übersichtsbilder von Standpunkten aus zu zeichnen,
die derart unerreichbar schienen. Wohl kaum auf einem andern
Wissensgebiete als in dem der Geologie der Gebirge empfindet
der Forscher so sehr das Bedürfiiis, von wirklicher, nicht nur ge-
dachter, höherer Warte aus den Zusammenhang der mühsam er-
worbenen Einzelbeobachtungen zu überschauen, und kein Mittel
kann hier so gut helfen wie Karte und Relief. Aber diese sind
indirekt entstanden, sie haben schon die Brille unserer subjektiven
Beschränktheit in der Auflassung passiert, es ist nicht die reine
wahre Natur. Sollte es uns nicht vergönnt sein, einmal von einem
solchen, bisher nur konstruktiv angenommenen öder einem ähnlichen
Standpunkte aus in der That ein Stück Relief der wirklichen Erd-
oberfläche zu überschauen und das Bild seiner Farben in uns auf-
zimehmen? Sollte es nicht möglich sein, in der That von einem
solchen Standpunkt aus den Zusammenhang der Einzelbeobachtungen
zu überblicken und damit die Auffiassung, zu der uns die Karte
fuhrt, zu kontrolieren? Das müsste ein unermesslicher Genuss sein!
— 3 —
Da erschien 1891 auf der Bildfläche meines Lebens zum
erstenmal der Luftschiiierkapitän Ed. Spelterini. Am 11. Sep-
tember 1891 fuhr ich mit ihm von Zürich aus über Zürichsee und
Albiskette. Der Genuss war unbeschreiblich. Capitano, sagte ich,
als wir über dem Albis schwebten: So möchte ich einmal
hinunter und hineinschauen in mein hauptsächlichstes
Beobachtungsgebiet, in die Alpen. Wir sollten einmal
über die Alpen fahren! Er fasste das Wort auf.
Im Januar 1897 erschien Spelterini wieder bei mir mit dem
Berichte, er habe den Fall einer Fahrt über die Alpen gründlich
aeronautisch studiert. Die Sache gehe gewiss. Er hoffe, ich werde
meinem damals gesprochenen Worte treu bleiben und mithelfen,
das Projekt einer Ballonfahrt über die Alpen zu verwirklichen.
Und ich sah mich in meinem damaligen Worte gefangen. Meine
Erklärung, dass ein so grosses Unternehmen finanziell und moralisch
nur zu rechtfertigen sei, wenn es sich in erster Linie in den
Dienst der Wissenschaft stelle, entsprach vollständig den Ab-
sichten von Spelterini. Ich riet ferner, dass das Unternehmen von
privater Natur bleiben möchte, da staatliche Organe auf eine im
Erfolge so unsichere Sache sich nicht einlassen können, und ferner
dass das Projekt ganz unter dem Namen von E. Spelterini in die
Welt gesetzt werden solle.
Im März 1897 erliess Spelterini zur Sammlung der Geldmittel
sein erstes Cirkular. Demselben war ein Anhang beigegeben, den
wir hier nachdrucken. Er lautete:
Die Unterzeichneten messen dem oben gemeldeten Unter-
nehmen des bekannten erfahrenen und geübten schweizerischen
Luftschiffers Kapitän E. Spelterini, der bereits 497 glückliche Bal-
lonfahrten mit über 800 Passagieren ausgeführt hat, eine grosse
wissenschaftliche Bedeutung bei. Diejenigen darunter, welche für
die Unternehmung in Betracht fallende Wissenschaften vertreten,
erklären sich auf den Wunsch des Herrn Spelterini gerne bereit,
als wissenschaftliche Beratungskommission demselben bei Aufstellung
des Beobachtungsprogrammes, Anordnung der korrespondierenden
— 4 —
Beobachtungen, instrumenteller Ausrüstung, Bestimmung von Ab-
fahrtsort und Abfahrtszeit etc. etc. beizustehen und ihn zu unter-
stützen, um die Durchführung seines Planes möglichst fruchtbar
zu gestalten. Mit dem Wunsche, das Werk möge dem Lande zur
Ehre gereichen,
Sommer 1897.
zeichnen:
Dr. A. Baltzer, Professor der Geologie, Bern,
Bob. Billwiller, Direktor der meteorologischen Centralanstalt,
Zürich,
Dr. Ed. Brückner, Professor der Geographie, Bern,
Aug. Dubois, Professeur, Neuchätel,
Dr. H. Dufour, Professeur de physique, Lausanne,
Dr. L. Duparc, Professeur de Mineralogie et Geologie, Genfeve,
Dr. Ed. von Pellenberg, Bergingenieur, Bern,
Dr. P. A. Porel, Professem*, Morges,
Dr. Früh, Dozent für Geographie, Zürich,
Dr. R. Gautier, Professem*, Genöve,
Dr. Ed. Hagenbach-Bischoff, Professor der Physik, Basel,
Dr. Alb. Heim, Professor der Geologie, Zürich,
J. Held, Ingenieur am topographischen Bureau, Bern,
Dr. Ad. Hirsch, Professeur, Neuchätel,
Dr. G. W. A. Kahlbaum, Professor der physikalischen Chemie,
Basel,
Colonel J. J. Lochmann, Chef de Tarme du Gönie et du Bureau
Topographique, Berne,
A. Rilliet, Professeur de physique, Geneve,
Dr. Ed. Sarasin-Diodati, Genöve,
Dr. C. Schmidt, Professor der Geologie und Mineralogie, Basel,
Dr. Ch. Soret, Professeur de physique, Genfeve,
Emil Suter, Optiker, Basel,
Dr. M. de Tribolet, Professeur de Mineralogie, Neuchätel,
Dr. H. Wild, (ehem. Direktor Observat. Petersburg), Zürich.
— 5 —
Später schlössen sich noch einige Namen (Prof. Dr. ü.
Grubenmann, Zürich, Prof. Riggenbach, Basel etc.) an. Am 14. Juli'
erfolgte eine Mitteilung des Kapitäns, dahingehend, dass die Bal-
lonfahrt auf Herbst 1898 verschoben werden müsse, um die nötige
Zeit zur allseitigen gründlichen Vorbereitung zu gewinnen.
Heute haben wii* die Erlaubniss, mitzuteilen, dass wir das
Zustandekommen unserer Ballonfahrt vor allem der
hochherzigen Schenkung von Frau Dr. Fanny Forst geb.
Biedermann in Coblenz (Rheinlande) verdanken, welche
mit ihren Mitteln die Erstellung des Luftschiffes Wega
ermöglicht hat.
Die immer noch sehr bedeutenden Auslagen der einmaligen
Füllung und der Fahrt waren zu decken zum Teil durch die Sub-
skriptionen der edeln Gönner unseres wissenschaftlichen Unter-
nehmens. In 18 Posten sind im ganzen 5630 Fr. einbezahlt
worden. Wir fugen die Liste der Geber bei. Ihnen allen sind
wir zu gi'ossem Danke verpflichtet. Es ist abermals Frau Dr.
F. Forst, sodann die Herren: Prof. Dr. Tobler-Blumer (Zürich),
Sulzberger (St. Gallen), C. Weber-Sulzer (Winterthur), Guyer-Zeller
(Zürich), Felix Cornu (Vevey), Kracht Hotel Baur au Lac (Zürich),
Prof. Kahlbaum (Basel), Grenus & Co. (Bern), Prof. Forel (Morges),
Kantonsregierung von Wallis, Munizipalität von Sitten, Prof. Dubois
(Neuchätel), Prof. Mellinger (Basel), Ed. Werzinger (Basel), Pfister (von
Baden in Paris), Burgerrat von Sitten, Ed. Monod (Morges). Einige
Andere haben uns durch Materiallieferungen, unentgeltlich oder zu
sehr ermässigten Preisen, wesentlich finanziell unterstützt; so beson-
ders die Herren Gebrüder Sulzer in Winterthur, welche uns 15000 kg
Eisendrehspäne unentgeltlich und franko nach Sitten sandten, die
Herren Gebiüder Schnorf in Uetikon, welche ihre Lieferung von
30000 kg Schwefelsäm'e nur zum halben Preis berechneten, HeiT
Üsteri-Reinacher in Zürich, welcher uns ein vorzügliches regi-
strierendes Anäroidbarometer konstruierte und sein Atelier zur In-
strumentenkontrolle zur Verfügung stellte, ferner Escher Wyss & Co.
in Zürich, Chemische Fabrik Siegfried in Zofingen. Die Schwei-
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— 7 —
der Regel nicht hoch hinauf, wenn die Luft einigermassen klar ist;
in der Höhe weht dann gleichzeitig SW oder WSW, oder es ist
auf der Südseite Begen, so dass man nicht darauf rechnen kann,
von Süden quer über die ganzen Alpen zu kommen; man würde
wahrscheinlich nach Osten getiieben. Zur Zeit eines barometrischen
Maximums ist vermutlich zu wenig Windströmung und kein ge-
nügender Ballongang möglich. Am besten sind klare Tage mit
einem über der Ostsee stehenden Minimum. In der Höhe weht
dann stetig SW bis WSW. Solche Tage sind im Herbst zudem
sehr häufig, in manchen Jahren die Regel. Will man also eine
Fahrt über ein grosses und mannigfaltiges Stück der Alpen machen, so
muss man auf eine Fahrt nach Nordost oder Ostnordost rechnen. Die
Windgeschwindigkeit wird dann in der Höhe 8 bis 10 m per Sekunde
betragen. Der Ausgangsort muss femer an der Bahn gelegen sein
und für die vielen Erfordernisse einigermassen Hülfsmittel bieten.
Als zweckmässigster Ausgangspunkt für den Aufstieg wird
sodann allseitig Sitten im Wallis bezeichnet. Von da würde
eine Fahrt mit WSW- Wind uns über die Finsteraargruppe, die
ürner- und Glarneralpen, über den Walensee nach dem Rheinthal
führen; Abstieg im Rheinthal zwischen Chur und Bodensee; Länge
der Linie ca. 200 km. Fahrzeit 6 bis 9 Stunden. Wenn die
Windrichtung irgend eine andere als die in erster Linie
gewünschte sein sollte, wenn die meteorologischen Ver-
hältnisse der Regel entgegengehen, so würde doch jeder
Wind beim Aufstieg von Sitten uns über eine grosse alpine
Gebirgsmasse führen, so dass die Frage, ob ein Hoch-
gebirge überfahren werden könne oder nicht und welche
Erscheinungen sich dabei zeigen, jedenfalls gelöst
werden könnte.
Femer konnte ich versichem, dass es uns in Sitten an werk-
thätiger freundlicher üntei-stützung seitens der Behörden und der
Bevölkerung nicht fehlen werde.
Die Resultate der Sitzung vom 29. Januar 1898 wurden ge-
druckt den sämtlichen Mitunterzeichnem des ersten Aufrufes mit-
- 8 —
geteilt und dieselben gebeten, ihre Bemerkungen und Gedanken
dazu uns zu übermitteln. Einige der kompetentesten erklärten ihre
ausdrückliche Zustimmung oder gaben noch einen oder den andern
ergänzenden Gesichtspunkt kund.
Unterdessen hatte ich mich zur Aufklärung verschiedener
Fragen der instrumenteilen Beobachtung mit dem in Sachen so
sehr erfahrenen Herrn Direktor Prof. Dr. Hergesell in Strassburg
in Verbindung gesetzt und derselbe war so freundlich, Spelterini
und mich zur Sitzung der , internationalen aeronautischen Kom-
mission** einzuladen, welche von der internationalen Meteorologen-
Konferenz im September 1896 in Paris geschaffen wurde, und sich
in Strassburg unter seinem Vorsitz vom 31. März bis 3. April 1898
versammelte. Hier konnten wir aus den Diskussionen sehr vieles
lernen, was gerade für unsere Aufgabe von Bedeutung war. An
den Diskussionen nahmen lebhaften Anteil die Herren Assmann,
Berson, Hergesell, Erck, Moedebeck, Teisserance de Bort, Cailletet,
Fonvielle, Schmidt etc. etc. Ausserdem hatten wir Gelegenheit, In-
strumente und Handhabung derselben nach neuesten Erfahrungen
kennen zu lernen.
Am 17. Juni 1898 versammelten wir die wissenschaftliche
Beratungskommission abermals. Diesmal nahm auch Herr Dr.
Maurer, Direktor-Adjunkt an der Schweiz, meteorol. Centi-alanstalt,
teil. Ich berichtete zuerst über alles für die Alpenfahrt nützliche,
was wir in Strassburg gesehen und gehört hatten. Sodann wurden
einzelne Teile des Beobachtungsprogrammes und besonders die
Instrumentenliste noch revidiert, ergänzt und definitiv festgestellt. Ich
will die Instrumentenliste nicht hier aufführen, sondern dies dem
Berichte des Herrn Dr. Maurer überlassen.
Auf mein Gesuch hin entschloss sich Hen* Direktor Billwiller,
namens der schweizerischen meteorologischen Centralanstalt mit
der Unternehmung „Wissenschaftliche Ballonfahrt über die Schweizer-
alpen * in der Weise in offizielle Verbindung zu treten, dass er
seinen Adjunkten Herrn Dr. Julius Maurer mit dessen Einver-
ständnis zur Teilnahme an unserer Expedition durch die Lüfte ab-
~ 9 —
ordnete, wofür wir ihm, wie für seine sonstige thatkräftige Unter-
stützung unsern herzlichsten Dank auch an dieser Stelle aussprechen.
Schliesslich wurden die Aufgaben unter die Mitfahrenden definitiv
verteilt wie folgt:
Kapitän Spelterini: Leitung des Ballons als Kapitän und
Photographie aus dem Ballon.
Prof. Heim: Kontrolle des Horizontalganges des Ballons unter
fortlaufender Eintragung in die Landkarten mit Zeitnotiz, allgemeine
Beobachtungen geologischer, geographischer, physikalischer Natur.
Dr. Maurer: Meteorologischer Teil, Beobachtung an Baro-
metern, Thermometern, Hygrometern etc.
Ein Platz war noch frei für Jemanden, der das Unternehmen
durch Zahlung eines beträchtlichen Fahrgeldes unterstützen würde.
Drei Anfragen wurden, weil die Fahrtaxe zu hoch schien, wieder
zurückgezogen. Dann wurde der Platz zugeschlagen dem Herrn
Dr. Alfred Biedermann, Industiieller in Lodz (Polen), einem lieben
ehemaligen Schüler von mir, der zwölf bis fünfzehn Jahre früher
schon manche wissenschaftliche Keise mit mir in den Alpen
gemacht hatte und uns nicht nur ein vortrefflicher Gefährte,
sondern auch in vielen Dingen ein vorzüglicher Helfer war. Er
funktionierte vielfach als geschickter Assistent des Kapitäns, sowie
als Photograph.
Wenige Tage bevor wir nach Sitten reisten, besuchte uns
Prof. Dr. Hergesell aus Strassburg. Als Präsident der inter-
nationalen aeronautischen Kommission beschäftigte er sich mit
dem schönen Gedanken, in meteorologischer Eichtung unserer
Ballonfahrt noch ein bedeutend erhöhtes Interesse dadurch zu
verleihen, dass gleichzeitig mit uns an verschiedenen Stellen Eu-
ropas bemannte und unbemannte, zu wissenschaftlicher Beobachtung
ausgerüstete Ballons aufsteigen sollten. Er selbst entschloss sich,
mit dem Registrierballon „Langenburg** nach Sitten zu kommen,
und denselben kurz vor oder nach uns steigen zu lassen, um cor-
respondierende Beobachtungen aus noch grösseren Höhen zu erhalten.
Wir unsererseits stellten ihm dankbar und freudig unsern Gaser-
— 10 —
zeuger, Schwefelsäure und Eisenspähne etc. zui' Verfügung, so weit
solche nach Füllung der Wega (wie für den Fall einigermassen
günstiger Verhältnisse vorauszusehen war), noch übrig bleiben
würden. Hergesell verständigte die meteorologischen A^ronauten
in Paris, Berlin, München, Petersburg, und es gelang seiner Um-
sicht und Hingebung durch telegraphische Berichte von Sitten aus
thatsächlich den fast genau gleichzeitigen Aufstieg von fünf Ballons
zu erzielen. In unserem IV. Hauptabschnitt wird auch von den
Kesultaten die Rede sein, welche der Vergleich der Beobachtungen
dieser gleichzeitigen Luftexpeditionen gezeitigt hat. Ein solch
ausgedehnter systematischer Feldzug der Wissenschaft in die
Lüfte hat wohl noch niemals stattgefunden. Ähnliches wird aber
nach dieser ersten Erfahrung in Zukunft, unter verschiedenen meteo-
rologischen Situationen wiederholt, der Wissenschaft gi'osse Dienste
leisten können.
Aus den Vorbereitungen nicht technischer Art, welche noch
getroffen worden sind, will ich nur die interessanteren erwähnen:
Wir mussten darauf Bedacht nehmen, eventuell in Italien,
Österreich, Deutschland, Franki-eich niederzusteigen und zu landen.
In Italien besonders kann dies unter Umständen sogar gefährlich
werden, indem die Bevölkerung die Luftschiffer als Spione be-
handeln oder auf das Fahrzeug, als auf einen Drachen, schiessen
könnte. Unter allen Umständen mussten Vorkehrungen getroffen
werden, um uns zu sichern. In dieser Richtung geschah
folgendes :
1) Auf unser Gesuch an das politische Departement der
schweizerischen Eidgenossenschaft hat dieses die Güte gehabt,
durch die schweizerische Gesandtschaft in ßom der italienischen
Regierung von unserem Projekte Mitteilung zu machen, worauf die
sämtlichen italienischen Verwaltungs-, Zoll- und Militärbehörden
der italienischen Grenzgebiete angewiesen worden sind, den Teil-
nehmern unserer Ballonexpedition für den Fall des Abstieges in
Italien eine gute Aufnahme und wenn nötig Schutz und Beistand
zu gewähren. Wir sprechen den Behörden der Schweiz, die diese
— 11 —
Vermittlung besorgt haben, sowie denjenigen Italiens für ihr freund-
liches Entgegenkommen unsern Dank aus.
2) Um unser Thun von ferne erkennbar, beim Abstieg gleich
als Werk des Friedens und uns selbst als Hulfsbedürftige zu be-
zeichnen — denn das sind die absteigenden Ballonfahrer stets —
kannte ich kein anderes Merkmal, als die Fahne der internationalen
Sanitätsvereinigung und Samaritervereinigung, das rote Kreuz im
weissen Feld. Dies ist überall bekannt und konnte uns überall
helfen. Auf mein Gesuch an den Centralpräsidenten der Vereinigungen
zum roten Kreuz, Herrn Dr. Stähelin in Aarau, wm-de mir ohne
Schwierigkeit die Benützung dieses Zeichens für den ungewöhnlichen
Fall gestattet. An unserm Ballon wurden in der Folge zwei
grosse Fahnen angeheftet, auf der einen Seite das weisse Kreuz
im roten Feld, unsere schweizerische Fahne, auf der andern Seite
das rote Kreuz im weissen Feld. Bei dieser Gelegenheit empfand
ich den Mangel eines Abzeichens einer wissenschaftlichen Unter-
nehmung. Ein solches sollte in internationaler Konferenz festge-
stellt und bekannt gegeben werden. Es könnte oft grosse Dienste
leisten — freilich wäre es auch da schwierig. Missbrauch entgegen
zu treten.
3) Sollte uns der Wind über den Gotthard tragen, während
gerade dort die Übungsgeschosse der Befestigungstruppen von
einem Thal über den Berg ins andere Thal fliegen? Vorsichts-
halber setzten wii* uns auch hierüber mit der eidgenössischen
Militärbehörde in Verbindung und auf das Telegramm, das imsere
Abfahrt meldete, sollte das Schiessen eingestellt werden — freilich
kamen wir nicht in jene Bichtung.
Auf die enorme Arbeit der ins Einzelne gehenden finanziellen
und besonders technischen Vorbereitung, welche Spelterini und ich
zusanmien im Verlaufe des Sommers zu bewältigen hatten, soll
nicht näher eingetreten werden, da diese Mühen kein weiteres In-
teresse beanspruchen.
II.
Die „Wega"
von
Kapitän E. Spelterini.
A. Konstraktion des Ballons, Netzwerkes and der Gondel.
Der Ballon »Wega* ist rein im Hinblick auf den wissen-
schaftlichen Zweck der Fahrt konstruiert worden. Seine Grösse
und Stärke erlauben, wirkliche Luftexpeditionen von langer Dauer
und in grosse Höhen zu unternehmen. Der Auftrag ziu* Her-
stellung des ganzen Luftschiffes wurde Herrn Georges Besan9on,
Ballonfabrikanten in Paris, übergeben.
Die Dimensionen und die Konstruktion des Ballons Wega
sind die folgenden:
Der Ballon ist vollständig kugelförmig.
Durchmesser des gefüllten Ballons . . . 18,441 m
Umfang 57,84 „
Theoretischer Inhalt 3268 m»
Inhalt mit Wasserstoffgas gefüllt und da-
durch etwas gedehnt („praktischer Inhalt**) 3350 m*
Obei-fläche 1065 m«
Der Ballon ist hergestellt aus japanesischer Seide (Pongh^e)
mit linearer Zerreissungsfestigkeit von 1000 bis 1500 kg per m*.
Jeweilen 66 trapezförmige Stücke (panneaux) sind zu einem Meri-
dionalstreifen (fuseau) zusammengenäht und die ganze Kugel ist
aus 48 solchen Meridionalstreifen gebildet. Im ganzen setzt sich
der Ballon somit aus 3168 Seidenstoffstücken zusammen. Ausser-
dem sind gegen die Pole hin Verdoppelungen auf 480 dieser
Seidenstücke angebracht, wodurch die Gesamtzahl der SeidentrapezOf
— 13 —
die zusammengenäht sind, auf 3648 steigt. Es wurden hiefür 165
Bohseidenstücke von 16 bis 18 m Länge auf 48 bis 50 cm Breite
verarbeitet. Die laufende Gesamtlänge der Nähte beträgt 4648 m.
Auf der innern Seite des Ballons wurden sechs leichte Fir-
nisanstriche und an der Aussenfläche vier solche zur Dichtung an-
gewendet. Einen elften äusseren Anstrich gaben wir dem Ballon
während der Fällung in Sitten, um die üblen Folgen eines teil-
weisen Zusammenklebens in grosser Hitze in Paris vor der Ab-
sendung nach Zürich wieder gut zu machen.
Der Ventilring nach System G. Besan9on hat einen inneren
Durchmesser von 106 cm und einen äusseren Durchmesser von 125 cm.
Der Bing für den Füllansatz, ausgeführt nach meinen speciellen
Angaben, hat die gleiche Grösse. Der Füllansatzärmel verjüngt
sich im oberen Teile nach unten konisch und hat unten noch einen
Durchmesser von 86 cm. Seine Länge beträgt 2,75 m. Der
Aufhängering (System G. Besan9on) hat einen inneni Durchmesser
von 1,16 m imd äussern von 1,26 m, seine Dicke in der Höhen-
richtung beträgt 10 cm. Er ist äusserst sorgfältig aus sechs Lagen
Nussbaumholz gearbeitet.
Das Netz aus Anjou-Hanf, getränkt mit Eatechu, besteht,
im Meridian gezählt, aus 112 in Parallelkreisen geordneten Maschen-
reihen, von denen jede 192 Maschen (im Parallelkreise gezählt)
enthält. Das ganze Netz hat somit 21504 Maschen, hergestellt
aus 11250 m Netzseilen. Das gesamte Netzwerk mit Einschluss
des Kranzes um das Ventil, des Äquatorialgürtels, der „Gänse-
füsse** (Zusammenfassungen von je zwei Maschen in eine stärkere
Seilgabel) und der 24 Aufhängeseile für den Bing, zu welchen sich
die „Gänsefüsse* vereinigen, repräsentiert eine Seillänge von 12100 m.
Die 36 oberen kleineren und engeren Maschenreihen des Netzes
sind aus Seilen von 3,6 mm Durchmesser, 10,05 g schwer per
Meter, und von 110 kg Zerreissungsstärke gebaut. Dieser Teil des
Netzes kann also eine Last von 42140 kg tragen. Der übrige
Teil des Netzes mit Ausnahme einer Zone am Äquator und am
unteren Teile besteht aus 4 mm dicken Seilen von 12,6 g per Meter
— 14 —
und 250 kg ZerreissuDgsstärke, Gesamttragkraft dieses Netzteiles
96000 kg. Fünf Maschenreihen am Äquator und die vier untersten
Maschenreihen des Netzes sind verstärkt durch Benutzung eines
Seiles von 472 mm Dicke, 16 g per Meter und 300 kg Zerreissongs-
stärke. Die Tragkraft dieser am meisten beanspruchten Teile des
Netzwerkes beträgt somit 192 X 300 X 2 = 115,200 kg. Die
erste Reihe der »Gänsefüsse* besteht aus 96 Seilgabeln, von 6,5 mm
Dicke, 33 g schwer per Meter und 600 kg stark. Dieselben
sind mittelst 192 Hülsenringen „Schoten" an den Maschen be-
festigt; Gesamttragki'aft dieser Reihe von Seilgabeln 115,200 kg.
Die zweite Reihe der Gänsefusse besteht aus 48 Seilgabeln an
96 Hülsenringen befestigt. Diese Seile haben 9 mm Dicke, 66 g
Gewicht per Meter und sind 1 100 kg stark; Gesamttragkraft dieser
Reihe 48 X 1100 X 2 = 105,600 kg. Die dritte Reihe der
Gänsefusse hat noch 24 Seilgabeln befestigt mit 48 Hülsenringen
an der vorhergehenden Reihe. Die hierfür verwendeten Seile sind
127« mm dick, 132 g schwer per Meter und tragen 2050 kg;
Gesamttragkrafl dieser Reihe = 98400 kg. Endlich folgen die
24 Aufhängeseile befestigt an 24 Hülsenringen, sie haben 16 mm
Dicke, wiegen 228 g per Meter und haben 3300 kg ZeiTeissungs-
widerstand. Der Ring ist somit mit einer Totaltragkraft von
79200 kg am Netze befestigt.
Das Netzwerk enthält im ganzen 360 Hülsenringe, die stets
zur Übertragung des Zuges aus zwei Seilen in eines dienen.
Die Seile, mit welchen der Gondelkorb am Ringe befestigt ist,
sind in den Korb eingeflochten und gehen von der einen Seite durch
den Boden nach der anderen Seite ohne ünterbruch durch. Je
zwei gegenüberliegende Aufhängeseile bilden also eigentlich ein
Stück. Es sind ihrer 12 Aufhängeseile der Gondel von 23 mm
Durchmesser, 416 g per Meter, 5500 kg Tragkraft, was eine
Tragkraft der Korbaufhängung am Ring von 66000 kg ergibt.
Der Gondelkorb ist aus Meerrohr und Weiden geflochten. Er
hat 1,03 m Höhe, 1,85 m Länge und 1,43 m Breite. Diese Di-
mensionen sind bedingt durch die Thürweiten der Eisenbahnwaggons,
(
■1;
— 15 —
B. Gewichtsverhältnisse und Tragkraft.
Das Gewicht des Luftschiffes samt Ballast und Inhalt be-
rechnet sich aus folgenden Zahlen: ^
Ballonhülle (Seide und Firnis) .... 480 kg
Netzwerk 200 ,
Pahrkorb 78 ,
Sitzkörbe (für Apparate und Sitze) ... 8 ,
Korbdecke 10^
Decken zum Verpacken des Ballons . . 16 „
Sack zum Verpacken des Netzes ... 8 ^
Ventil 18 ,
Aufhängeiing 26 ^
Füllansatzring 10^
Ventilleinen 5 „
Anker 38 ^
Ankerseil 29 „
Guiderope, 160 m lang 58 ^
Seile etc 8 „
2 Fahnen 2 ^
Fahi-zeug 994 kg 994 kg
Ausrüstung:
6 Photographieapparate mit Platten . . 30 «
Meteorologische Instrumente imd deren
Plazierungskorb 50 ^
Bergausrüstung 8 ^
Signalraketen in Blechrohr 5 ^
3 Stahlflaschen mit komprimiertem Sauerstoff 44 ^
Kleiner Tisch aus Holz 2 „
Keisegepäck (Überzieher, Decken etc.) . 25 „
Proviant 12 „
4 Personen 320 „
496 kg 496 ,
Übertiag 1490 kg
7 t .
- 16 —
Übeiirag 1490 kg
45 Säcke Ballast zu 25 kg = . , . . 1125 kg
20 , , , 20 ,=.... 400 ,
Steigkraft bei der Abfahrt 3 Säcke ä 25 kg 75 ^
1600 kg 1600 ,
3090 kg
Der Ballon war im Moment der Abfahrt nicht ganz voll.
Da wir von 1 m* Wasserstoffgas in der Höhe von Sitten (510 m)
mid bei 15^ einen Auftrieb von ca. 1100 g annehmen können, so
müssen im Ballon im Momente der Abfahrt sich ungefähr 2810 m'
Wasserstoffgas befunden haben, um 3090 kg Tragkraft zu ent-
wickeln.
Nach der Landung waren noch 60 kg Ballast unverwendet.
Auf der ganzen Fahrt sind somit 62 Sandsäcke mit 1465 kg Sand
ausgeworfen worden. Die grösste Menge Ballast erforderte der
erste Aufstieg und die Nähe der Wolken vor den Diablerets. Wir
haben zwischen 25 und 30 Säcke Ballast auswerfen müssen, bevor
wir 4200 m Meerhöhe erreicht hatten. Nachher war lange Zeit
der Ballastverbrauch sehr gering.
C. Der Gaserzeuger.
Der Gasgenerator, mit welchem in Sitten das Wasserstoffgas
zur Füllung hergestellt wurde, war von der Firma Godard & Sourcouf
in Paris, konform deren patentierten Specialkonstruktion, hergestellt
und zu unserer gi-ossen Beruhigung uud Freude die Gasbereitung
von Herrn Sourcouf selbst geleitet worden. Der Apparat erwies
eine kontinuierliche Leistungsfähigkeit von 100 bis 110 m' Wasser-
stoffgas per Stunde. Er ist auf einem Wagen gebaut und besteht
aus einem Pumpwerk, zu dessen Betrieb ein kleiner Dampfkessel
diente. Das Pumpwerk saugt regulierbar 3 Teile Wasser auf
1 Teil Schwefelsäure und sendet sie in ein grösseres Aufhahmsrohr.
Die so gemischte Flüssigkeit wird darnach durch zwei gi'osse ver-
bleite, mit gereinigten Eisenspähnen gefüllte Eisentürme von unten
— 17 —
nach oben gepresst und dadurch das Wasserstoffgas erzeugt, wobei
gleichzeitig die nun zu Eisensulphatlösung verwandelte Flüssigkeit
ausgestossen wird. Das Gas wird hierauf zur Abkühlung durch einen
beständig rotierenden Regenapparat geleitet und in diesem, natür-
lich hermetisch verschlossenen, Bezipienten gereinigt und gewaschen.
Von da muss das flüchtige Gas durch weitere zwei Bezipienten, um
an deren Inhalt, kaustische Soda und Chlorcalcium, mitgerissene
Säureteile und Feuchtigkeit abzugeben, denn Säuregehalt würde
die Ballonseide allmählich angreifen. Endlich, fast völlig chemisch
rein, gelangt es durch den Ausströmungsheber in den zum Ballon
führenden seidenen Füllschlauch.
Wir hatten zur Gaserzeugung in Sitten 30000 kg Schwefel-
säure (von 60® Baumö) und über 20000 kg Drehspähne von
Weicheisen bereit. Wir verbrauchten, soweit es sich bestimmen
Hess, durchschnittlich ungefähr 772 kg Schwefelsäure und 5 kg
Eisen um 1 m® Wasserstoffgas zu erhalten. Da wir nicht nur
den Ballon Wega zu füllen, sondern auch noch die Verluste der
Wartezeit zu decken und den Sondierballon „Langenburg" mit Gas
zu versehen hatten, verbrauchten wir unseren ganzen Schwefelsäure-
vorrat bis auf die unreinen Beste, die in jedem Cistemenwagen
am Grunde sitzen blieben.
D. Montieren der Gondel auf Wagen.
Um die letzten Vorbereitungen zur Abfahrt möglichst rasch
erledigen zu können, liess ich einen blos 35 cm hohen Brücken-
wagen von 2000 kg Tragh'aft bauen. Die Plattform des Wagens
hatte 1,80 m Länge und 1,50 m Breite. Drei Tage vor der
Abfahrt wurde die Gondel auf diesen Wagen gestellt und all-
mählich fertig mit Ballastsäcken, Sauerstoffbomben, photographischen
Apparaten und anderem montiert. Die Ballastsäcke waren so ein-
gerichtet, dass die vier Tragschnüre sich um einen Hülsenring ver-
banden. Vom Hülsenring und ausserdem noch an ihrer Unterseite
waren sie mittelst Schnüren an den Seilöseu rings um den Fahr-
korb angebunden. So mussten, um den Ballast zu entleeren, keine
— 18 —
Haken mühsam ausgehängt werden, sondern es brauchte nur die
obere kleine Anbindschnur mit dem Taschenmesser durchschnitten
zu werden, wodurch der Sack sich sofort entleerte und umgekehrt
hängen blieb. 40 solcher Ballastsäcke waren auswendig an der Gondel
befestigt, 25 weitere standen im Innern des Korbes. So wurde die
Gondel zur Befestigung an den Aufhängering vollständig fertig
gestellt. Eine Stunde vor der Abfahrt, während man die Säcke am
unteren Teil des Netzwerkes Masche für Masche tiefer setzte, Hess
ich den Wagen mit der darauf stehenden fertig montierten Gondel
unter den Ring schieben. Nachdem die Gondel am King befestigt
war, hatten wir nur noch Anker, Guiderope und einige Instrumente
an derselben anzubringen, was alles in Zeit von einer halben Stunde
geschehen konnte. Auf diese Weise konnten die letzten Vorberei-
tungen zur Abfahrt um wenigstens zwei Stunden abgekürzt werden.
Wenn wir auch unserefi Zweck nicht ganz erreicht haben,
indem unsere Fahnichtung von der gewünschten abwich, so hat uns
doch dieser erste wissenschaftliche Versuch, im Ballon über die
Alpen zu fahren, wichtige Resultate ergeben. Wir haben die Ge-
wissheit gewonnen, dass bei hellem, wolkenfreiem Himmel mit
einem Winde von 5 bis 7 m per Sekunde die Alpen überfahren
werden können. Die Meinung, welche einzelne Gelehrte ausge-
sprochen hatten, dass das Luftschiff, wenn es über den Grat einer
grossen Berggruppe gelangt sei, wieder zurückgetrieben werde
durch eine Kreisbewegung der Luft, hat sich glücklicherweise nicht
bestätigt. Im Gegenteil, als wir kaum über dem Grat der Dia-
blerets angelangt waren, wurde dort der allgemeine Luftstrom viel
stärker ohne irgend eine Richtungsänderung zu erfahren. Ich hoffe,
dass es mir vergönnt sei, später den Versuch zu wiederholen und
damit der Wissenschaft einen Dienst zu erweisen.
Ich überlasse es meinen Freunden, Herrn Prof. Alb. Heim
und Herrn Dr. Jul. Maurer, die Beobachtungen und Resultate der
Expedition vom 3. Oktober 1898 darzulegen.
- ? n
I ä s=
;.X, Dtr Hing wird am Netzwerk ül'tr Jl-iii l'ahrkorl' befa
die S-indsäckc liaiigLii nocli an dai NetzgaliL-ln,
7
m.
Die Fahrt der Wega
von
Dr. Alb. Heim, Prof.
A. In Sitten vor der Abfahrt.
Wie es bei so komplizierten Unternehmungen leider stets
zu gehen pflegt, wo hundert Dinge genau zum Klappen gebracht
werden müssen, so geschah es auch hier: Schon die Fertigstellung
des Luftschiffes war in Paiis um sechs Wochen verzögert worden.
Sodann entstand bald da, bald dort eine Unterbrechung im Gang
der Dinge. So gieng leider das ununterbrochen herrliche Wetter
des September unbenutzbar vorüber und wir kamen in Zeiten
wechselnder und weniger günstiger Situationen.
Am 19. September wurde das Luftschiff mit Zubehör in
Zürich in einen Eisenbahnwagen verpackt. Am 20. fuhr Spelterini
damit nach Sitten. Dort war unterdessen auf der sehr günstig
gelegenen weiten, einerseits von einer doppelten Allee mächtiger
Bäume, andererseits von Oebäuden umrahmten „Place d^ai'mes du
Planta*, welche uns die Municipalität von Sitten zur Benutzung
freimütig überlassen hatte, eine Einrahmung von 50 m im Gevierte
und drei Meter Höhe in Bretterwand hergestellt worden. Der
Gaserzeugungsapparat mit Aufsteiggerüste und der Dampfkessel
standen an ihrem Platze. Daneben waren die ca. 25000 kg
Weicheisendrehspähne aufgehäuft. In den uns freundlichst zur
Verfügung gestellten Magazinen des Hen*n Fontaine standen die
Fässer mit Ätznatron, Chlorcalcium und eine Menge von uns im
voraus dorthin gesandter Gegenstände ; die drei Cystemenwagen mit
— 20 —
zusammen 30000 kg Schwefelsäure aus den Fabriken der Gebrüder
Schnorf in Detikon befanden sich auf einem Nebengeleise im
Bahnhof Sitten. Die Wasserzufuhr aus den «bisses* erwies sich
als unzulänglich wegen zeitweiser Trübung des Wassers. Herr
Dumont, Besitzer eines Wasserversorgungswerkes in Sitten, hatte
uns Anschluss an seine Leitungen und unentgeltliche Entnahme
der für die WasserstoflFgasfabrikation notwendigen Wassermenge
angeboten, was wir dankbar annahmen. Aber Zuleitung, Ableitung
der Abwasser in einen städtischen Abwasserkanal und noch eine
Menge anderer Einrichtungen waren erst zu treffen.
Herr Ingenieur Ed. Sourcouf aus Paris, begleitet von Madame
Sourcouf, traf bald nach Spelterini in Sitten ein. Er hatte es zu
unserer grossen Beruhigung übernommen, den von ihm konstruierten
Gaserzeugungsapparat selbst in Gang zu biingen und die Wasser-
stoffgasfabrikation zu leiten. Dui'ch seine grosse Erfahi'ung und
Geschicklichkeit hat er uns überdies noch viele wichtige Dienste
erwiesen, für die wir ihm aufrichtig dankbare Herzen bewahren.
Während einigen Tagen war auch Herr Georges Besan9on
aus Paris, der Verfertiger der Wega, bei uns in Sitten. Später
musste er leider zurückreisen. Sein erster Angestellter, Herr
Cabalzar, hingegen war von Spelteiini für die ganze Zeit zui* Hülfe
engagiert worden.
Die Herren Gebrüder Schnorf aus üetikon schickten uns einen
ihrer besten Oberarbeiter, um die Entleerung der Schwefelsäure-
cysternen und das Überfüllen und Transportieren der Schwefelsäure
vom Bahnhof auf den Operationsplatz einzuleiten und zu überwachen.
Herr Ingenieur A. Schmidt in Zürich hatte uns seinen Monteur
Louis Gehrer zur Besorgung des Dampfkessels und zum Betrieb
der Pumpen des Gaserzeugers gesendet. Herr A. Dreyer, mein
Präparator an der geologischen Sammlung in Zürich, hat überall
durch seine Intelligenz und sein technisches Geschick sich in
höchstem Masse nützlich zu machen verstanden, er hatte im be-
sondern dann nach unserer Abfahit für uns alle Rückstände,
Packereien etc. zu besorgen. Der hohe Regierungsrat von Wallis
— 21 —
hatte uns in zuvorkommendster Weise für Tag und Nacht seine
besten Polizeiwachen zur Verfugung gestellt. Und wenn irgendwo
etwas fehlte, wendete man sich an meinen vortrefftichen Freund,
Herrn Kantonsforstmeister Ant. de Torrentö, der uns von Anfang
an alle Wege geebnet und vieles vorbereitet hatte, oder an den
Herrn Stadtpräsidenten de Bivaz, oder an einen der Herren Re-
gierungsräte, oder an Herni Fontaine, PfäflFerle etc. — stets war
man des freundlichsten empfangen und stets wurde alles was
möglich war gethan, um uns zu helfen. Man war unter lauter
Freunden.
Am Morgen des 26. kam ich nach Sitten. Herr Dr. Bieder-
mann war schon da und zu meiner grössten Freude auch mein
Freund Prof. Dr. F. A. Forel aus Morges. Er blieb treu bei uns
und mit uns. Er half uns wo er konnte, er versorgte die Welt
durch die Gazette de Lausanne mit authentischen Nachrichten
über den Gang der Dinge in Sitten, er beriet mit uns, er nahm
sich in freundlichster Art oft der Zuschauer an und gab ihnen
Erklärungen. (Fig. 1.)
Am 26. wurde das Netz über den Ballon gelegt und das
Einsetzen des oberen Normal- Ventilos und Beissventiles mit grösster
Umsicht geregelt. Herr Georges Besan9on war an diesem Tage
noch in Sitten und besorgte dies zusammen mit Spelterini. Dann
kam bald Herr Prof. Dr. Hergesell aus Strassburg und Dr. Maurer
aus Zürich. Ersterer brachte seinen Ballon-sonde »Langenburg*
mit, um ihn wo möglich vor der Wega steigen zu lassen und die
Verständigung mit den andern gleichzeitigen Ballonfahrern in Paris,
Berlin, München, Wien, Petersburg durchzufühi'en.
Die Füllung der Wega begann am 26., abends 5 Uhr. Sie
gieng ziemlich langsam von statten. Nicht dass der Apparat nicht
seine Versprechungen gehalten hätte, allein allerlei Zufälligkeiten
stellten sich in den Weg : Einmal hatte sich ein Stein in die Wasser-
leitung verirrt und geriet in den Ausflusshahn. Ein andermal hatte
ein ungeschickter Arbeiter im untern Teile der Stadt einen Hahn
offen gelassen, so dass das Reservoir der Wasserversorgung sich
— 22 —
entieerte. Es verstrichen mehi'ere Stunden, bis die Ursache des
Wassermangels entdeckt war. Am 1. Oktober war der Ballon beinahe
voll. Gewaltig hatte sich die goldbraune, während des Steigens vorweg
nochmals firnisste, erst von 196, nachher von 392 Sandsäcken am
Netz gehaltene Kugel emporgehoben und mit fast mathematischer
Regelmässigkeit in das Netzwerk hineingetrieben. Nachtarbeit war
vermieden worden, teils, weil dieselbe niemals präzis ausgeführt
werden kann, teils weil wir nicht genügendes Hülfspersonal hatten,
um einen richtigen Wechsel zu organisieren. Wir alle hatten ÜEtöt
immer vollauf zu thun. (Vergl. Fig. 1.)
Die Tage in Sitten werden uns allen in bester Erinnerung
bleiben. Man arbeitete in voller Harmonie zusammen und man
lernte von einander. Am 29. September, abends, fand im deko-
rierten Saale des Hotel de la Poste ein belebtes Bankett statt,
welches die Municipalität von Sitten den Ballonfahrern zu Ehren
gab. Herzliche Worte wurden gewechselt zwischen denen, die auf
der Erde zurückblieben und uns so tüchtig unterstützt hatten, einer-
seits und denen, die die Luftreise anzutreten bereit waren, an-
dererseits.
Es sei mir gestattet, bei dieser Gelegenheit einige Worte
über eine Frage einzuflechten, die an diesem Bankette auch in
den Reden und im Privatgespräche lebhaft erörtert wurde : Ist die
Ballonfahrt nicht ein tollkühnes, nicht zu verantwortendes Wagnis?
Eine Ballonfahrt ist bei schlechter stürmischer Witterung
gewiss sehr gefährlich, sie wird es auch auf jeden Fall, wenn man
über 6500 m geht. Bei einigermassen sicherer und ruhiger Wit-
terung und in Höhen unter 6000 m verhält es sich anders. Wenn
alles Material und die Konstruktion des Luftschiffes gut ist, wenn
alles gründlich vorbereitet wird, wenn der leitende Kapitän um-
sichtig und erfahren ist und die nötigen Qualitäten besitzt, dann
halte ich bei guter, unten ruhiger Witterung eine Ballonfahrt bis
5000, höchstens 6000 m durchaus für nicht gefährlicher als z. B.
eine Ersteigung des Wetterhornes, des Tödi, des Monte Rosa oder
ähnliches, die heutzutage Tausende ohne jedes Bedenken und ohne
— 23 -
jedes Bewusstsein einer kühnen That vollbringen. Ändert die
Witterung plötzlich, so können wir aus 5000 m Höhe im Ballon
in einer halben Stunde absteigen, während der Bergsteiger der
Wettergefahr nicht so schnell entgehen kann. Die Ballonfahrt ist
uns nur noch zu ungewohnt und zu fremd. Die Fahrt selbst bietet
fast keine Gefahren, es ist keine Entgleisung, kein Zusammenstoss,
kein Zusammenbruch einer Brücke unter uns zu fürchten. Warum
sollte der Ballon eher zerspringen als der Dampfkessel, warum das
Netzwerk eher zerreissen als die Wagen-Kuppelung? Die Sicherheit
ist beim Ballon entschieden grösser. Der einzige kiitische Moment
ist immer nur die Landung und zwar die Landung bei Wind.
Mittelst Guiderope, Anker, ausreichendem Ballast und Beissklappen
neben Normalventil kann man aber auch die Landung weit mehr
als frülier handhaben. Die Thatsache ist bei der Beurteilung der
Gefahr doch auch nicht ausser Acht zu lassen, dass es LuftschifFer
gibt und gegeben hat, welche mehrere hundert Fahrten mit Passa-
gieren ausgeführt haben. Spelterini steht nach seiner 502. Fahrt
noch unverletzt vor uns und keiner seiner Passagiere hat Schaden
gelitten. Von den französischen, russischen und deutschen Me-
teorologen haben manche z. T. auch schon 50 und 70 Fahrten
gemacht, ohne Verletzungen davon zu tragen. Dagegen verschwinden
die wenigen Unglücksfalle als Ausnahmen.
Gewiss handelt es sich in unserem Fall um etwas mehr Un-
sicherheiten, als bei einer gewöhnlichen Ballonfahrt mit Leuchtgas-
füllung. Noch kein Ballon hat eine Hochgebirgsregion überfahren;
wir wissen nicht, ob und wie das gehen wird. Wir wissen nicht,
wie hoch wir steigen müssen, um über zurückziehende oder
senkende Lokalwinde zu kommen, ohne an den Bergkämmen anzu-
stossen. Wir wissen nicht, ob wir aus der wilden Gebirgsregion
herauskommen, in welcher die Landung sehr gefährlich werden
könnte. Aber je gründlicher man sich auch diese Möglichkeiten
überlegt, desto mehr schwindet das Gefühl der Gefahr.
Mein Beruf bringt mich sehr oft in Gefahren, die entschieden
viel grösser sind. Man gewöhnt sich daran, man überwindet
— 24 —
die Ängstlichkeit, man bleibt sorgfaltig und umsichtig, ohne toll-
kühn zu werden. Meine Knochen habe ich einst, ohne mich
in Gefahr zu begeben, auf schönster Strasse gebrochen (über-
fahren). Trotz der Wegafahrt zähle ich mich doch zu den ängst-
lichen Naturen. Ich habe nui* das Gefahl, eine ungewohnte, aber
nicht eine besonders kühne That gewagt und vollbracht zu
haben. Für jedermann ist^s nicht, aber es braucht dazu keine
Tollkühnheit.
Eine Ballonfahrt bei schönem Wetter ist aber ein unermess-
licher Genuss; ich fühle, dass er leicht zur sportlichen Leidenschaft
werden könnte. Mit Umsicht beb'ieben weniger gefährlich als
mancher Sport, hindern nur die Kosten des Luftschiffes und der
Fahrtbereitung eine sportliche Entwicklung der Luftschiflferei.
An einem andern Abende in Sitten hielt Prof. Forel in dem
Stadthaussaale einen öffentlichen Vortrag über die Ballonfahrt,
worin er den so sehr interessierten Bewohnern Sittens in vor-
trefflicher fassbarer Weise sowohl die Technik des Luftschiffes und
der Luftschiffahrt als auch die Zwecke unserer „Fahrt über die
Alpen* darlegte.
Am Tage kamen die verschiedenen niedrigeren und höheren
Schulabteilungen mit ihren Lehrern den ab&hrtbereiten Ballon
zu sehen.
Am 1. Oktober war das Wetter schlecht: Nordwind und
Neuschnee auf den Bergen bis 1800 m hinab! Am 2. Oktober
war es besser, aber unsicher. Forel kennzeichnete die Stimmung,
die sich unser aller in diesen Tagen des unsicheren Wartens be-
mächtigte, in seinen Korrespondenzen wie folgt:
„Jetzt begreife ich, warum Andree aus dem Hafen der Virgo
im Norden von Spitzbergen am 11. Juli 1897 verreist ist und
nicht länger gewartet hat, trotz den mehr als schlechten Be-
dingungen seines Abfahi'tstages : Er konnte die Qual der ünent-
schiedenheit nicht mehr länger ertragen.
„Unsere Freunde, die Luftschiffer in Sion, leiden unter den
gleichen Ungewissheiten; sie sind gequält von den gleichen Schwie-
— 25 —
rigkeiten, Entschlüsse zu fassen, und diese Ungewissbeiten sind
eine peinliche Lage. Das Wetter im Rhönethal ist schön, es ist
ordentlich im Norden der Schweiz. Unter diesen Umständen wäre
der Aufstieg möglich, aber er würde in den Resultaten wahr-
scheinlich nur halbwegs gelingen.
„Wie wird es morgen sein? Wird das Wetter besser oder
schlechter sein? Ist diese Reihe atmosphärischer Depressionen,
kleiner Cyklonen, welche das westliche Europa in den letzten
Tagen bestrichen haben, abgelaufen und wird das Wetter wieder
beständig? Oder wird es noch lange so fortgehen und uns noch
weiter veränderliches Wetter bringen? Werden die hohen Luft-
drucke, welche uns von der Bretagne gemeldet sind, unmittelbar
zu uns kommen? Andererseits ist aber die Jahreszeit sehr vor-
gerückt, der Herbst ist da, was thun? »Die Gelegenheit hängt an
einem Haar," sagt ein Sprichwort, soll man sie entwischen lassen?*
Einige Bomben komprimierten Wasserstoffgases aus der vor-
trefflichen Wasserstoff- und Sauerstofffabrik von Luzern (Herr In-
genieur Gmür) dienten uns, die kleinen Pilotenballons zu füllen.
Ein solcher aus Eautschuck, den wir am 2. Oktober morgens
7 Uhr steigen Hessen, fiel nach telephonischem und telegraphischem
Berichte des Herrn F. Comu, vormittags ca. 11 Uhr, in Corseaux
oberhalb Vevey. Er hat somit den Alpenkamm der Diablerets von
Südost nach Nordwest überfahren.
Die gleiche Fabrik in Luzern hat uns auch drei Sauerstoff-
bomben geliefert, die wir auf die Luftreise mitnahmen, und, hätte
dieselbe schon vor der Bestellung des Wasserstoffapparates durch
Spelterini existiert, so hätten wir vielleicht eine Möglichkeit finden
können, von dort unsern Ballon füllen zu lassen.
.Die meteorologischen Stationen der schweizerischen Ebene
und der nördlichen Alpengipfel (Pilatus, Säntis, Luzern, Bern,
Zürich etc.), immer wieder per Telephon und Telegraph befragt,
gaben zweifelhafte und entmutigende Antworten. Die Telegraphisten
und Telephonisten von Sitten, deren Thätigkeit unermüdlich war,
waren stets auf der Lauer. Es war ein Kriegsrat in Permanenz,
— 26 —
der die Wetterkarte besprach, den Horizont befi-ug, die Barometer
beklopfte. Die Tage vergiengen und die Kanone, welche auf
Wunsch des Stadtrates der Bevölkerung das letzte Büsten zwei
Stunden vor der Abfahrt melden sollte, blieb stumm.*
^Ein gefällter Ballon besitzt keine unerschöpfliche Geduld.
Er kann nicht auf unbestimmte Zeit hinaus die idealen meteorolo-
gischen Bedingungen abwarten. Die täglichen Temperaturwechsel
bringen das Gas zur Dehnung und zur Kontraktion und ein kleiner
Teil verliert sich; die Seide und ihre Nähte sind nicht absolut un-
durchdringlich. Eine gewisse Diffusion bringt Gasverlust und stört
auch die ßeinheit des Wasserstoffgases. Endlich kann ein Stui'm
kommen, der trotz allem Angebundensein und allen Sandsäcken
die gewaltige Kugel arg erfassen und schädigen würde. Man
kann einige Tage, vielleicht 8, allerhöchstens 14 Tage warten,
aber nicht unbegi*enzt lange. Es musste also innerhalb dieses
kurzen Zeitraumes der beste Tag gewählt werden.** »Was wird
der morgige Tag uns bi-ingen? Hoffen wir!**
Die Barometer stiegen langsam und kontinuierlich während
des 2. Oktobers und in der Nacht vom 2. zum 3. Es war nun
vollständig klar, einerseits, dass die wünschenswerteste Si-
tuation — SW-Wind in der Höhe — so bald nicht auf-
treten könne, ja dass vielleicht Wochen verstreichen
werden, bevor sie wieder komme, anderseits, dass der
Ballon gefüllt nur noch wenige Tage in gutem Zu-
stande würde warten können. Mit dem nun vorauszu-
sehenden Südostwind, also gegen Nordwest zu fahren, bot
auch ein gi'osses Interesse und war jedenfalls der totalen Unsicher-
heit der Zukimft vorzuziehen. Die Fahrt auf nächstes Jahr zu
verschieben, daran konnten wir nicht denken, denn die grossen
Auslagen für die Einrichtung und Füllung waren unwiderruflich
geschehen und wären völlig nutzlos geblieben, wenn wir jetzt
nicht mehr gefahren wären. Viel eher konnte man daran
denken, ein anderes Jahr den Versuch zu wiederholen. Spelterini,
Dr. Maurer und ich entschieden zu fahren, falls die Berichte von
'S ^£ I
ig 0" B- S
- 27 ~
der Nordseite der Alpen etwas besser lauten würden als gestern.
Vor 8 Uhr wurde wieder mit Hülfe des vortrefflichen Telegraphen-
und Telephonbureau die Befragung von Pilatus, Säntis, Luzem,
Bern eröfifcet. „Lückenhaftes Nebelmeer, Benieralpen hell* be-
richteten Säntis und Pilatus, »neblig aber wahrscheinlich aufhellend*
Luzem und Bern. Jetzt war der Entscheid getroffen. Dr. Bieder-
mann lief in freudiger Ungeduld zum Zeughaus, bald donnerte
die Kanone und alles rüstete sich in froher Zuversicht. Mit
diesem Momente war jede Unruhe des Herzens verschwunden und
es kam kein Zweifel und kein banger Augenblick mehr über uns.
B. Die Abfahrt.
Im Einverständnis mit Spelterini übernahm Herr Sourcouf
die Leitung der letzten Operationen zur Befreiung des Ballons,
während Spelterini sich mehr um die Ordnung der Gondel be-
mühte. Der schneidige französische Ingenieur führte seine Auf-
gabe mit bewunderungswürdiger Präzision aus. Er bat die Zu-
schauer um Stillschweigen, damit sein Kommando überall genau
verstanden werde. Fortan herrschte feierliche Stille und Aufmerk-
samkeit unter der tausendköpfigen Menge.
Die zwölf Seile, welche den Ballon am Äquator festhielten,
wurden, auf Leitern stehend, gelöst, die Fahnen am Ballonnetz
befestigt, der Instrumentenkorb mit Dreieckseil durch Bollen ans
Netz aufgehängt. Die ca. 400 Sandsäcke ringsum wurden nun mit
grösster Kegelmässigkeit jeweilen wieder um eine Masche oder um
eine Seilgabelung tiefer gehängt, wodurch der Ballon gleichmässig
stieg. Jetzt wurde die fei*tig gerüstete, mit angehängten Sand-
säcken umgebene, mit Anker, Guideropeseil, Instrumenten, Sauerstoff-
bomben, Mänteln, Proviant etc. etc. montierte Gondel auf niedrigem
Wagen unter den Ballon gestossen und der Ring an den Netzseilen
und an den Korbseilen befestigt (Fig. 2). Bald häuften sich die
Sandsäcke in den Netzseilgabelungen nahe dem Ring (Fig. 3). Am
Ring werden vier Seile befestigt und vier Gruppen von Männern in
einigen Metern Entfernung halten an diesen Seilen fest. Die Sand-
- 28 —
Säcke aus den Netzseilgabelungen werden teilweise abgehängt
Dadurch steigen der Ballon und der Ring bis die Seile von der
Gondel angezogen sind und nun der Korb den Ballon hält. Jetzt
ist der Moment für uns gekommen, einzusteigen (Fig. 4). Alles ist
feierlich bewegt. Porel, Hergesell umarmen mich. Viele unserer
Freunde und Bekannten drängen sich zum letzten Händedruck
heran; allen gehts zu Herzen und von Herzen, man sieht ihnen
die Bewegung an. Viele haben Angst um uns, wir selbst nicht.
Aber wir sind erfüllt von dem Gefühle des Dankes für alle Hülfe
und alle Teilnahme. Bei den Zuschauern sieht man in manchen
Augen Thränen. Der 90jährige Vater Fontaine weint wie ein Kind.
Wieder so viele Sandsäcke weg als das Gewicht der einge-
stiegenen Personen beträgt! Noch einige vom Bingrande weg bis
eben der Ballon die Last trägt und schwebendes Gleichgewicht da
ist. Die paar noch am Bing hangenden Säcke in die Gondel, die
Haltseile vom King losgebunden, die Männer von dort an die
Gondel zum Halten ! Sie schwebt eben! Nun 3 Sandsäcke = 75 kg
noch bei Seite, um 75 kg Steigkraft zu haben. «Fehlt nichts mehr?
Habt Ihr alles? Nochmals nachsehen! Stille! — »Attention! —
Lächez tout!* — (Fig. 5 u. 6.) Und majestätisch ruhig steigt
die gewaltige goldbraune Kugel mit uns auf zum blauen Himmel.
Alle Zuschauer im Baum wie auf den umgebenden Plätzen, auf
Zinnen und Dächern und an allen Fenstern scheinen den Athem
zurückzuhalten. Viele und auch wii* haben unwillkürlich das Haupt
entblösst, es ist ein grosser, feierlicher Moment. Wir schauen auf die
Menge hinab. Dann schwingt Spelterini, auf dem Gondelrand stehend
seine Mütze zum Grusse ; jetzt bricht die Menge in tausendstimmigen
Abschiedsruf aus und ein Kanonendonner kracht durch die Luft.
Unter uns schwinden die Menschen rasch zu Punkten zusammen;
Sitten wird kleiner und kleiner. Die Fahrt ist angetreten (Fig. 7).
C. Unser Weg in der Lnft und der Abstieg.
Zur Kontrole der Höhen durch die Luft dienten zwei regi-
strierende Aneroidbarometer und ein Quecksilberbarometer (be-
■eil Sicht man miii Siticn den Rall.
iiidir villi unten und iiiiniiT kldiiiT
. N. 1S9K. ii>" ;[■ bis II Uhr.
— 29 —
treffend die Instrumente vergl. den letzten Abschnitt). Das Grund-
rissbild unseres Weges zu prüfen war eine meiner Aufgaben.
Schon bei früheren Ballonfahrten habe ich erfahren, wie schwierig
es bei gi'ossen Höhen über dem Boden wird, den Punkt zu be-
stimmen, senkrecht über welchem man sich befindet. Man schaut
auf der einen und auf der andern Seite der Qondel hinab und
fühlt sich gleichzeitig fast ebenso gut senkrecht über dem einen
wie über dem andern von zwei Orten, die 10 Kilometer ausein-
ander liegen können. Als einfachstes Beobachtungshülfsmittel hat
sich mir schliesslich ein weiss gefärbtes Gewicht an langer Schnur
am Fahrkorbrande befestigt, ergeben, über welches man hinunter-
blickt, um sodann die fixierten Grundrisspunkte sofort in der Eai-te
unter Zusatz der Zeitnotiz einzuschreiben. Auch die Bewegung
des Ballons ist auf diese Weise viel rascher und sicherer als sonst
zu sehen. Allein die doppelt aufgeschichteten Sandsäcke rings um
den Korb herum verhinderten zum Teil oder erschwerten doch
die Anwendung des einfachen Hülfsmittels. Ich erreichte die er-
hoffte grosse Genauigkeit deshalb nicht überall.
Vormittags 10 Uhr 53 Minuten erhob sich die Wega von
der Place d'armes in die freie Luft. Wir stiegen zuerst nach
der Schätzung der Zurückgebliebenen mit etwa 1 m per Sekunde,
bald aber rascher. Schon nach der ersten Minute sahen wir uns
von Thalföhn thalauswärts gegen WSW getragen. Nach 7 Minuten
hatten wir schon 1840 m Meerhöhe, das ist 1330 m über Sitten
erreicht, wir waren also durchschnittlich über 3 m per Sekunde
gestiegen. Leicht und unversehens gieng dies mühelose Steigen vor
sich; zu Fuss hätten wir schon vier Stunden gebraucht, um diese
Höhe zu erreichen. Zwei weitere Minuten später, nachdem wir im
ganzen 3 km thalauswärts gefahren waren, hörte die Horizontal-
bewegung auf. Wir stiegen von 11 Uhr 2 Min. bis 11 Uhr 5 Min. von
2000 m auf 2240 m Meerhöhe fast senki'echt auf. Wir standen dabei
nahe über dem kleinen See bei Pont de la Morge. Es schien sogar
während einer Viertelsminute, als wendete sich die Fahrt wieder
thalaufwärts. Indessen diese Hoffnung erfüllte sich nicht, dagegen
— 30 —
war nun sicher, dass wir aus dem Strom des Thalwindes heraus-
gekommen waren. Nördlich von uns sahen wir aber in uns
gleicher Höhe und noch höher an den Berggräten die Nebel scharf
gegen Westen ziehen. Wir standen in Windstille, über die Berge
kroch Nordostwind!
Zwischen 11 Uhr 5 Min. und 11 Uhr 6 Min. fühlte man
plötzlich eine Luftbewegung und hörte ein leises Rauschen im Ballon.
Es dauerte nur einen Moment. Damit waren wir in den grossen
aus SE wehenden Höhen- Luftstrom geti'eten, den wir dann bis kurz
vor dem Abstieg nicht mehr verliessen. Jetzt trieben wir gegen
NW in einer erstaunlich geradlinigen Bahn.
Bei 2500 m, 3100 m, 3450 m etc. wollte der Ballon wieder
sinken, und es musste Ballast abgeworfen werden, mehr und rascher
als erwartet. Später aber hielt sich das Luftschiff so vorzüglich
aequilibriert, dass wir noch mehrere Säcke überflüssigen Bhonesand
nach Frankreich auf die Erde brachten.
So wolkenlos die Luft über dem Thale stand, die Gräte
waren von vielen Ballwolken umgeben. Als wir das Val de Triqueut
überquerten und senkrecht über dem Lac de Derborence standen,
konnte man nur auf Momente zwischen den Wolken durch den
gewaltigen Trümmerstrom des Bergsturzes an den Diablerets vom
Jahr 1749 sehen. Der Ballouschatten mit Farbenring stieg an den
Nebeln hinauf. Wir mussten wieder Ballast auswerfen, um über
den Nebeln zu bleiben. Einen Augenblick tauchten wir dennoch
in den Nebel, während unser Träger im Blauen blieb.
Die Diablerets, denen wir zutrieben, waren mit Neuschnee
bedeckt. Jetzt sollte sich die von manchen vermutete Wirkung
einer absteigenden Windströmung dm'ch die Schnee- und Eismassen
des Berges bald zeigen. Wir erwarteten mit Spannung unser
Schicksal. Genau 11 Uhr 41 Minuten schwebten wir senkrecht
über dem höchsten Gipfel des Berges (3217 m) in 4230 m Meer-
höhe. Wir sahen unter uns die Firn- und Eisfläche des Qlacier
de Zanfleuron. Unter uns zogen die am Berge klebenden Nebel-
ballen, anscheinend recht scharf vom Nordostwind in der Richtung
— 31 —
des Bergkammes getrieben, wir hingegen fuhren mit Südost recht-
winklig darüber hinweg. Unsere Bahn zeigte nicht die geringste
Ablenkung von ihrer geraden Linie. Wohl aber war die Wirkung
des gewaltigen Gebirgsgrates auf unsere Fahrgeschwindigkeit sehr
auflfallend. Wie ein Fluss über einer Querschwelle seine Geschwin-
digkeit vermehrt, so muss das auch mit der Luftströmung der
Fall sein, die quer zum Grate geht. Unsere horizontale Fahrge-
schwindigkeit, als wir bei ca. 2300 m über dem Thale zuerst in
den SE-Strom getreten waren, betrug etwa 3 m in der Sekunde.
Sie steigerte sich aUmälich auf 10 m über dem Val de Triqueut in
4200 m Meerhöhe. Drei Kilometer vor dem Diableretkamme erreichen
wir 23 m Horizontalgeschwindigkeit und über den Grat selbst
fliegen wir mit über 25 m in der Sekunde, was uns kein Schnellzug
nachmacht. Wieder drei Kilometer nördlich des Grates über dem
entsetzlichen Kessel des Creux de Champ gehen wir nur noch mit
14m per Sekunde und steigen dabei ohne Entlastung aufwärts,
ganz erinnernd an die Stauwelle, welche auch unterhalb der Fluss-
schwelle sofort entstehen muss, wo die Bewegung abnimmt und
dadui'ch der Querschnitt anschwillt. Foi-tan fuhren wir nun in
gi'osser Höhe und gerader Richtung gegen NW. Während wir
über dem Thalboden zwischen Unterwind und Oberwind eine etwa
250 m mächtige stillestehende Luftschicht durchstiegen hatten, muss
gewiss über den Diablerets die Grenze der beiden verschieden ge-
richteten Strömungen viel unvermittelter gewesen sein ; wir konnten
uns glücklich schätzen, hier über derselben geblieben zu sein.
Dieses erste Stück der Wegafahrt über die vergletscherte
und zudem frisch verschneite Gebirgsmasse der Diablerets, die
dem zusammenhängenden nördlicheren Hauptkamme der Alpen an-
gehört, hat folgendes ergeben:
1) Während in der Höhe eine allgemeine Luftströmung
weht und eine anders gerichtete Unterströmung in der Tiefe geht,
kann diese letztere nach oben in einer den allgemeinen Terrain-
formen angeschmiegten Gestalt abgegrenzt sein, gewissermassen
überall dem Terrain entlang kriechend, so dass die allgemeine
— 32 —
Oberströmung über dem Thalgrande tiefer hinabgreift, die Unter-
strömung an den Bergen noch höher oben weht. Das Verwunder-
liche liegt für mich darin, dass die ünterströmung, in unserem
Falle NE, sich oben auf dem wilden Grate blos einige hundert
Meter unter einer Oberströmung von über 25 Sekundenmeter noch
zu halten vermocht hat. Daraus geht hervor, dass unter Um-
ständen auch Gipfelstationen über die Höhenwindrichtung täuschen
können, indem eben verschiedene Windrichtungen über dem Ge-
birge nicht immer nach Niveauflächen sich abgrenzen.
Pilotballons sind da das richtigste üntersuchungsmittel der
Meteorologie.
2. Sinkende Lokalwinde, durch die Abkühlung der Gletscher-
massen bedingt, sind während einer allgemeinen Strömung ohne
Belang für eine Ballonüberfahrt; ünterwinde können schon wenige
hundert Meter über den Bergen eine stärkere allgemeine Ober-
strömung gänzlich ungestört lassen. Mir scheint, wir dürfen auf
Grundlage unserer Beobachtungen mit Bestimmtheit sagen, dass
jedes Gebirge — so hoch oder so vergletschert es auch sein mag, in
Zeiten eines allgemeinen Höhenwindes, d. h. also sobald es nicht
gerade in einem barometrischen Maximum steht, ohne Schwierigkeit
von einem Ballon in fast gerader Linie überflogen werden kann.
Immerhin ist, wenn wir dies sagen, noch die eine Bedingung ein-
zuschliessen, dass keine Wolkenschatten auf den Ballon fallen, der
Ballon in ungestörter Besonnung fahre; denn jeder Schatten gibt
Gaskondensation und verbraucht eine Masse Ballast.
Nach den Diablerets haben wir noch etwa sieben freilich
niedrigere alpine Bergkämme zu überfliegen, bis wir über das
schweizerische Molassenland kommen. Die Alpen haben in der
Querrichtung, in der wir von Sitten ab fahren, gegen NW 55 km
Breite. Wir sind thatsächlich über ein 55 km breites
vielgliedriges Alpengebirge mit zahlreichen Kämmen,
deren höchster vergletscherter 3200 m übersteigt, ge-
fahren, ohne im Gebirge das geringste Fahrhindernis
oder die geringste Bahnabweichung zu empfinden.
— 33 —
Unsere Bahn ist, so lange wir im Oberstrom waren, erstaun-
lich geradlinig geblieben. Die Abweichungen von der Geraden,
nach links oder rechts, betragen auf der im Grundriss 226 km
langen Fluglinie kaum einen Kilometer. Ob wir zwischen 6000 und
6800 m Meerhöhe schwebten, oder uns auf 2000 bis 4000 m
herunter gelassen hatten, es ergab sich gar kein Unterschied in
der Bewegungsrichtung. Der Neuenburger See unter uns, dann
das ganze Juragebirge mit Kamm und Thal, die französische
Hügellandschaft, ihre breiten Thalboden von Flüssen durchschlängelt,
ihre Felderflächen, dann wieder die enormen Forste, bald klare
Luft unter uns, bald Nebelmeer, all dieser Wechsel störte die ge-
rade Bahn nicht. Von dem enormen Einfluss auf den Gang der
Fahrt, den die unten liegende Bodengestaltung ausüben soll und
wovon mir noch bei der Sitzung in Strassburg einige der Meteoro-
logen von Fach gesprochen hatten, war nichts, aber auch gar nichts
zu spüren. Der Bewegungsfaden blieb, offenbar gi'ossen allgemeinen
Ursachen folgend, unverrückt. Wir waren geführt von einem
mächtigen Strome des Luftmeeres, dem gegenüber selbst die Ge-
birge verschwindende Runzeln im tief unten liegenden Boden sind.
Es war ein erhebendes Gefühl, den kleinen lokalen Bedingungen
entrückt in majestätischer Ruhe imd doch grosser Geschwindigkeit
in unverrückbarer Bahn über die Erde zu schweben. Und war es
auch nur eine terrestrisch bedingte Bewegung, sie Hess uns doch die
Erhabenheit einer kosmischen, allem kleinlichen entrückten Bewegung
im Weltenraum ahnen.
Die Beilage (Fig. 14) gibt das Grundrissbild unserer Bahn.
Die Höhenlinie unserer Bahn zeigt drei Kulminationen, von
denen jeweilen die folgende die bedeutendere war. Wir blieben
stets lange in den grossen Höhen, das Sinken war nur vorüber-
gehend. Das erste Maximum erreichten wir von 12 Uhr 05
bis 12 Uhr 55, in welcher Zeit wir stets über 5000 m
blieben und 12 Uhr 22 bei 5860, 12 Uhr 30 bei 5850 m
stunden. Um 1 Uhr 06 waren wir über Tverdon auf 4020 m
gefallen.
3
— 34 —
Das zweite Maximiira hielt uns über dem nördlichen Teile
des Jura von 1 Uhr 20 bis 2 ühr 19, also fast während einer
vollen Stunde zwischen 6000 und 6500 na ; der höchste Punkt
wurde 1 ühr 52 mit 6430 m erreicht. Jetzt folgte Sinken von
Besan9on bis über das Thal des Oignon, wo wir 2 Uhr 41 bei
2260 m standen.
Einige Säcke Ballast, allmählich ausgeworfen, erzeugten ein
letztes gleichförmiges Steigen von 2 Uhr 41 bis 3 Uhr 43 auf
unsere Kulmination von 6800 m. Wir waren 73,2 m per Minute,
1,22 m per Sekunde höher gekommen. Diese Höhe hielten wir
nur einen Moment inne. Der Ballon wollte noch mehr steigen,
diu'ch wiederholtes Ziehen der Ventilklappe wendete sich das Steigen
in rasches Fallen zum Abstieg. Der Kapitän schätzt, dass er über
100 m^ Wasserstoffgas ausgelassen habe. Zu diesem Beschlüsse des
Abstieges hatten folgende Erwägungen geführt. Unser Ballon hätte
sehr wohl noch die ganze Nacht uns in der Luft halten können.
Ballast war noch reichlich vorhanden. „Wollen wir die Nacht durch
weiter fahren?'' fragte der Kapitän. Ein Blick auf meine Landkarten
zeigte, dass wir in der Richtung über Paris treiben würden, falls
keine Änderung in der Windrichtung erfolgte. Allein unsere Fahr-
geschwindigkeit war im Mittel so gross, dass wir schon vor Mitter-
nacht Paris zu passieren erwarten mussten. Schon vor Tagesan-
bruch hätten wir das Meer erreicht. Unsere Karten reichten
nicht bis dort hinaus. Nach der Erinnerung des Kartenhildes
schien es mir aber, dass wir in zu schiefer Richtung das Armel-
meer überqueren und bei einer geringen Abweichung der Wind-
richtung gegen Westen riskieren müssten, westlich von England
in den Ozean hinaus zu fahren. Der Abstieg in der Nacht konnte
schwierig werden und der wissenschaftliche Erfolg der Nachtreise
stand nicht im Verhältnis zur Gefahr einer so unsicheren Landung.
Vor uns aber schloss das Nebelmeer sich gegen Nordwest immer
dichter. Wenn wir vor Nacht absteigen wollten, musste es nun
sofort geschehen, um nicht zu sehr im Nebel herum zu fahren. Aber
vielleicht nur für einen Augenblick noch etwas höher mit künst-
- 35 —
lieber SauerstoflFatraung? Vielleicht finden wir dort umgekehrte
Strömung, die uns in die Schweiz zurückfuhrt? Die Situation war
kritisch geworden. Im folgenden Abschnitte wird näheres über
die Umstände berichtet, imter denen jetzt der Abstieg beschlossen
wurde. Fig. 15 und 16 geben das Vertikalprofil unserer Fahrt.
VoD 3 Uhr 43 bis 4 Uhr 23 fielen wir von 6800 auf
2400 m hinab. Das ist eine Fallgeschwindigkeit von 110 m per
Minute, gewiss zeitweise mehr als 2 m in der Sekunde. Unter
uns war Nebelmeer. „Es geht zu schnell, Sandsack ab ! — noch
einen!* Die Sonne hatte sich hinter Wolkenstreifen gehüllt. Da
rieselt ein Sandregen über uns herunter, alles wird voll Sand, wir
waren schneller gefallen, als der ausgeworfene Sand und erst etwas
später durch die Entlastung wieder langsamer, so dass der im
Fallen zurückgebliebene Sand uns nun wieder überholte. Jetzt
gerathen wir bei ca. 1600 m in den Nebel hinein. Alles wird
düster und grau um uns. Wir spähen nach unten. Zuerst sieht
Spelterini wieder die weissen Strassen, dann auch die Dörfer durch-
schimmern. Gut! der Nebel geht nicht bis auf den Boden, man
sieht genügend zur Landung, aber es ist starker östlicher Unterwind!
Wir fahren über die roten Dächer eines Dorfes, es war Kiviöre.
„Einhalb Sack Sand aus, sonst gerathen wir in die Hopfenstangen!''
Östlich steigt der Boden rasch an. Weit herum nehmen baumlose,
steinige Äcker und Wiesen mit wenig Gebüsch die Plateaufläche
ein, dahinter folgt ausgedehnter Wald, den wir nicht mehr über-
fahren können, hier müssen wir absteigen.
Dr. Maurer hatte die Instrumente geborgen, Dr. Biedermann
stand bereit, den Anker auf des Kapitäns Befehl zu werfen. Das
Schleppseil war leider feucht geworden und dann gefroren, so dass
es nicht weich abgerollt werden konnte und unverwendet bleiben
musste. Mir hatte der Kapitän die normale Ventilleine in die eine
Hand gegeben, in der andern hielt ich Ballast zum Auswurf bereit,
er selbst hielt die Beissventilleine und einen Ballastsack und spähte
mit Adlerblicken. „Halbsack ab!** — „Es gibt einen Stoss —
aber einen festen!** ruft er, „Anker los!** Mit gi*osser Horizontal-
— 36 —
geschwiDdigkeit fuhr der Korb flach schief auf den Boden, dass
alles krachte und klirrte. Die Ventilleine aus Leibeskräfken ziehend
fiel ich rücklings in den Korb, blieb so und liess nicht gehen.
Da springt der Ballon doch wieder auf, wir fliegen wieder,
1 bis 2 m über dem Boden, 50 m weit dahin und schlagen
wieder auf. Der Anker hatte in dem harten Grund noch nicht
gepackt, er wird wieder abgerissen und mit einem Bück gehts zum
zweiten Sprung gegen 100 m, halb geschleift halb geworfen,
weiter. Die Ventilleine reisst mir aus der Hand, aber der Anker
hat gepackt, die Beissleine zerrt den Kapitän, der sie nicht gehen
lassen will, aus dem Fahrkorb heraus, das Ankerseil ist straff ge-
spannt, wir bleiben auf dem Boden fest, die Ventile haben gewirkt.
Kaum 20 Sekunden nach dem ersten Anprall liegt der Ballon am
Boden, wie ein schnaubendes Ungetüm im scharfen Nordostwinde
sich krümmend und durch diesen gestossen sein W^asserstoffgas um
so schneller auspressend, nicht mehr föhig, sich zu erheben. Wir
können aussteigen. Alle sind völlig unverletzt, der Instrumenten-
korb ist schief, ein Thermometer und einige photographische Platten
sind zerbrochen, aber sonst ist nichts wertvolleres beschädigt; selbst
das feine Quecksilberbarometer, die Aneroide etc. haben nicht im
geringsten gelitten. Die schwierige Landung ist glücklich vollzogen.
Wir mögen unter dem Nebelmeer noch ca. 3 km weit gegen
Westsüdwest gefahren und dann noch ca. 150 bis 200 m ge-
schleift worden sein. Es war 4 Uhr 37 Minuten.
Meine Zeiteintragungen in die Projektionspunkte der Bahn
auf der Karte ermöglichen eine ziemlich genaue Kontrolle der
Fahrgeschwindigkeit der Wega, welche ja vollständig gleich
der Windgeschwindigkeit ist.
Unsere Fahrgeschwindigkeit im Oberstrom ging nie wesentlich
unter 8 ra per Sekunde hinab, stieg aber auch, nachdem wir
den Haupt\amm überfahren hatten, niemals wieder auf 25 m
sondern nur noch bis 16 m per Sekunde. Es lässt sich in den
Schwankungen der Horizontalgeschwindigkeit keine Gesetzmässigkeit
— 37 -
erkennen. Im Ganzen hat der Ballon einen horizontalgemessenen
Weg von 229 km in 344 Minuten, das ist 5 Stunden 44 Minuten
zurückgelegt. Davon fallen in den allgemeinen Oberstrom 210 km
in 285 Minuten zurückgelegt. Dies ist eine Geschwindigkeit von
737 m per Minute oder 12,3 m per Sekunde. Wir fuhren also
geradlinig, ohne Aufenthalt an Stationen, mit der Geschwindig-
keit eines Schnellzuges.
Und doch ist diese Geschwindigkeit im Ballon nicht zu
fühlen. Man schwebt scheinbar stille stehend in der wunderbarsten
Ruhe. Kein leises Wehen, kein Eauschen ist hier zu vernehmen,
auch bei der Fahrt im Sturme nicht. Nicht die leiseste Er-
schütterung durchzuckt unser majestätisches Fahrzeug. Lange
muss man nach unten Berge, Dörfer, Strassen, Flüsse fixieren, bis
man eine Verschiebung derselben gewahr wird, und erst die Re-
flexion lehrt uns, dass wir damit die Bewegung des Ballons, nicht
des Bodens beobachten. Und wenn man nicht den Untergi-und
beständig in den Augen festhält, wenn man seine Blicke nur im
Fahrzeug oder auf den Horizont schweifen lässt, so kann man
nicht ahnen, ob man stille steht oder über der Erde dahinsaust
wie der Aar, und man kann nicht empfinden, in welcher Richtung
die Reise geht — so wenig als wir auf der Erdoberfläche die
Drehung der Erde oder ihre Bahn um die Sonne direkt zu em-
pfinden vermögen. Es gibt keine schönere, keine feierlichere Art,
sich auf der Erde zu bewegen.
Über den Waadtländeralpen stets in einer Höhe von zwischen
5000 und 6000 m wechselte die Geschwindigkeit zwischen 8 und
17 m per Sekunde. Über Yverdon hingegen blieb sie bei blos
4200 m, ganz gleich wie über dem Jura bei über 6000 m Höhe,
stets nahe um 15 m per Sekunde. Nachmittags um etwa 7*3 Uhr
hatte die Windgeschwindigkeit auf 8 bis 12 m abgenommen,
gleichgültig ob wir über 6000 oder unter 3000 m schwebten.
Es geht hieraus . deutlich hervor, dass die Windgeschwindigkeit,
innerhalb des Oberstromes, in der Hauptsache nicht von der Höhe
abhing und mit der Höhe wechselte, sondern mit der Zeit. Im
— 38 —
Verlaufe der Zeit kamen für den ganzen grossen Windstrom aus
SE verschiedene Geschwindigkeiten zu Stande. Wenn aber die
Windgeschwindigkeiten mit der Zeit sich änderten, so ist es am
so auffallender, dass dabei die Windrichtung doch so völlig
unverändert geblieben ist.
Oben hatten wir dui'chschnittlich 12,3 m Windgeschwindigkeit
in der Sekunde, während unten fast Windstille oder wechselnde
Windrichtung herrschte! Das zeigt uns wieder, wie viel wind-
reicher die oberen Schichten der Atmosphäre sind. Ich glaube
fast, man könnte auch bei barometrischem Maximum im BaUon
die nötige Fahrgeschwindigkeit finden, um über das Gebirge zu
kommen.
Die Vertikalbahn des Ballons ist freilich keine meteorologische
Erscheinung, sondern eine aeronautische. Sie ist aber in letzterer
Beziehung der Beachtung wert. Wenn wir die sämtlichen steigenden
Bewegungsstucke der Bahn im Betrage ihrer Vertikalsteigung zu-
sammenzählen, so kommen wir auf ca. 15,500 m und ebenso
viel beti*agen selbstverständlich die summierten absteigenden Be-
wegungen. Ein guter Bergsteiger würde, die Ruhepausen nicht
mitgerechnet, das nämliche in etwa 80 Zeitstunden, die Buhe-
zeiten mitgerechnet in etwa 8 Tagen zu leisten vermögen, unser
Ballon ist ein vortrefflicher Kletterer, der in nicht ganz 6
Stunden so hoch hinauf und hinab zu steigen und zudem in der
Höhe gleichzeitig noch 229 km weit zu gehen vermochte und das
alles in nach gewöhnlichem Sprachgebrauch für den Erdboden
ziemlich windstiller Zeit. Der Ballon hatte bei diesem enormen
Wege nicht nur das Gewicht eines Bergsteigers, sondern eine Last
von 1500 bis 3000 kg zu tragen. Er ist der beste Bergsteiger,
den es gibt!
Die Dimensionen unseres Weges durch die Luft können in
folgenden Zahlen zusammengefasst werden:
Summe aller aufsteigenden Bewegungen. . . = 15500 m
„ „ absteigenden „ ... = 15500 „
Vertikalbewegungen überhaupt 31000 m
— 39 -
Grundriss der Bahn auf der Horizontalen . . 229 km
Länge der Bahn in sich selbst gemessen . . 235 „
Grösste erreichte Höhe 6800 m
y, « Horizontalgeschwindigkeit . 25 „ per Sek.
Unsere Ballonfahrt ist weder die höchste noch die weiteste, die
bisher ausgeführt worden ist. Aber sie ist die erste, die ein bedeu-
tendes Gebirge überquert hat und sie ist auch die erste, deren
Bahn nicht nur auf wenige Momente, sondern sehr lange und sehr
weit sich in Höhen über 5000 und 6000 m gehalten hat. Sie war
«Hochfahrt**, „Weitfahrt*, „ Schnellfahrt •* und „Dauerfahrt* zugleich.
Zum Schlüsse unserer Darstellung der Bahn geben wir hier-
nach eine Tabelle, welche Ort, Zeit und Höhe angibt.
Zeit Ort genau oder nahezu senkrecht Ballonhöhe
Std. Min. unter dem Ballon. i. Meter ü. M.
1. Fahrt über die Alpen.
10 63 Sitten (Abfahrtsplatz) 512
11 12 Montdorge 3000
11 25 Erdes 3500
11 35 Val de Triqueut 4200
11 39 Lac de Derborence 4300
11 41 Diablerets 4350
11 48 Ormont-dessus 4700
11 55 le Mont 5000
11 59 le Pet Hongrin 5300
12 05 Dent de Jaman 5100
12 09 Cap de Meine 5500
12 19 Remaufens bei Chätel St Denis 5800
2. Fahrt über das schweizerische Mittelland.
12 28 Chapelle bei Oron-la-Ville 5900
12 48 Moudon 5800
12 56 Bercher 5000
1 02 Essertines 3800
1 07 Tverdon 4200
— 40 —
Zeit Ort genau oder nahezu senkrecht Ballonhöhe
std. Mio. unter dem Ballon i. Meter ü. M.
3. Fahrt über den Jura.
1 13 Vuiteboeuf 4500
1 17 Ste. Croix 5000
1 18 Chasseron 5200
1 23 Cöte aux F6es 6400
1 27 les Verriöres 6400
1 32 Grenze Schweiz : Frankreich 6300
1 41 Bugny 6100
1 50 Mouthier 6350
2 00 Omans 6250
2 08 Foucherans 6400
2 22 Besanfon 5300
2 27 Ecole 4500
4. Fahrt über Frankreich nördlich des Jura.
2 40 Oignonfluss 2300
2 58 AutoreiUe 3200
3 08 Choye 4000
3 29 Battrans 5600
3 37 Gray sur Saone 6500
3 44 3 kuGi nördlich Gray 6800
3 50 Bouhans 6000
4 Ol St. Seine 5300
4 12 Chaume 3700
4 24 Couzon 1600
4 35 Kiviöre 800
4 37 Landung ob Kiviere 500
D. Unser Befinden.
Die Fahrt der Wega über einen Teil der Alpen war die
503. Ballonfahrt, die unser Kapitän mit Passagieren ausgeführt
hat. Herr Dr. Maurer war vorher erst einmal, Dr. Biedermann
noch nie im Ballon gestiegen, für mich wai' es die vierte Luftreise.
— 41 —
Id den tieferen Regionen bis zu 4000 oder 5000 m waren
auch diesmal bei meinen 6efö,hrten und bei mir die persönlichen
Empfindungen durchaus ähnlich, wie ich sie bei meinen früheren
Fahrten erlebt habe und wie sie von andern beschrieben werden.
In einer unendlichen Pracht umgibt uns die Welt, und im 1
Vordergrund aller Gefühle steht die staunende Bewunderung. Nie-
mand kann Worte finden, dieses selige Geniessen im Schauen zu
schildern. Man ahnt auf dem Boden unten nicht, wie schön dies
Gewebe von Wald und Wiese, von Feld und Wasser, Berg und
Thal, Fels und Schnee ist, wie duftend, wie freundlich und lieblich
Dörfer und Städte aussehen, als wäre in ihnen eine Sünde unmög-
lich, und wie freundschaftlich und traulich die Strassen und Wege
die Wohnstätten der Menschen miteinander verbinden. Es ist wie
eine herrliche Dichtung, was unter uuserm Auge vorüberzieht. Ja,
ich erkenne die Dörfer, die Thäler, die Berge, sie sind mir ja alle
vei*traut, aber sie sind doch anders, sie sind wie verklärt, so rein,
so farbenduftig. Ist alle diese Pracht wirklich Wahrheit? Ich
taste am Fahrkorb, an den Seilen, ich taste an den Gefährten, um
zu versuchen, ob ich vielleicht blos in einem schönen Traume
schlafe, oder ob greifbare Wirklichkeit mich umgebe. Im Schauen
gebannt ist es schwer, anderes über die Lippen zu bringen, als
nur beständige Ausrufe der Bewunderung und des Entzückens. Ich
habe es gesehen, wie manche in eine Art Glücksrausch, in ein
Gefühl unaussprechlicher Seligkeit verfallen. Manche lachen, andere
weinen, wieder andere werden stumm. Es ist schwer, den Geist
zm- wissenschaftlichen Beobachtung zu sammeln. Man darf fast
sagen: vor Staunen und Entzücken steht der Verstand einem still.
Die paar Stunden sind verronnen wie ebenso viele Minuten. Wir
haben auf manches Einzelne genau geachtet, aber in einer Art
Sinnesbetäubung durch die Pi-acht habe ich trotz Vorsatz noch viel
mehr zu beobachten übersehen. Das Entzücken lähmt. Ich glaube,
der Dichter ist einmal im Ballon gefahren, der den Adler hoch in
den Lüften sagen lässt: „Ach währte doch immer das stolze Glück,
ach müsst' ich doch nimmer zur Erde zurück!**
— 42 —
Frau Tible aus Lyon, welche im Jahr 1784 als die erste
Dame mit einem Ballon aufstieg, hat eine Beschreibung ihrer sub-
jektiven Empfindungen gegeben, welche diese Stimmung des Glückes
ganz in der Art wiedergibt, wie sie für alle verständlich ist, die
es schon erlebt haben.
Schon gleich im ersten Moment, da der Ballon schwebt und
zu steigen beginnt, fühlt man sich ausserordentlich wohl. Niemals,
auch bei raschem Aufstieg, habe ich oder haben Gefährten von
mir irgend ein Unbehagen empfunden. Freilich sie alle waren von
gesundem Herz und gesunder Lunge. Wie es Herzkranken ginge,
ist eine andere Frage.
Auch diesmal zeigte sich bei uns keine Anwandlung vom
Gefühl des Höhenschwindels, obschon wenigstens ich dieses
Gefühl vom Gebirge und von hohen Bauwerken her sehr wohl
kenne. Warum der Gleiche, welcher auf der Zinne eines hohen
Turmes sich ängstlich festhalten muss, sich kaum zu wenden
wagen darf, oder plötzlich alles in schwankender und drehender
Bewegung sieht, vom Ballon mit behaglicher Ruhe auf die Spitze
des Turmes oder des Felsgipfels heruntersieht, hinauslehnt, auf
den Korbrand steht etc., — ob in 100 oder in 5000 m über dem
Boden ist dabei ganz gleichgültig — diese Thatsache ist mir auch
heute fast so unerklärlich wie vor Jahren, da ich sie zuerst selbst
beachtete und durch Nachfrage bei allen Ballonfahrern bestätigt
fand. Wenn man über die ersten Ballonfahrten zu Ende des vorigen
Jahrhunderts nachliest, bemerkt man ebenso, dass Jeder beim Auf-
steigen Behagen, niemand Höhenschwindel fühlte, niemand von
Grausen spricht. Bei einem Aufstieg im verflossenen Sommer ge-
riethen wir infolge eines unerwarteten Windstosses mit der Gondel
in starke pendelnde Schwankungen. Der Ballon schaukelte in ent-
gegengesetztem Sinne, ein Punkt kurz über dem Ring schien der
Drehpunkt der Schwingung zu sein. Ziemlich lange Zeit hielten die
Schwankungen an. Allein auch dies war nicht unangenehm. Auch
das Missbehagen, wie es in einer Schaukel oder auf einem Meer-
schi£f von vielen gefühlt wird, erschien bei keinem der Mitfahrenden.
— 43 -
Als hingegen einmal bei der Fahrt am 25. Juni 1897 der Kapitän
durch rasches Hantieren mit Seilen und Sandsäcken dem Ballonkorb
einige harte Stösse versetzte, und ihn in raschem Wechsel dabei
auf verschiedenen Stellen ungleich belastete, war mir plötzlich ein
Anflug von Höhenschwindel für einen Moment fühlbar. Ich glaubte
deshalb, dass die absolute Buhe, der Mangel jedes Zitterns, jeder
Kollision mit Hartem, wie sie sonst beim Steigen auf einen Turm
oder einen Berg schon durch das Treten und Stehen bedingt
wird, wesentlich dazu beiträgt, den Höhenschwindel ferne zu halten.
Indessen auch dies reicht zur Erklärung durchaus nicht aus, denn
wer Höhenschwindel hat, spürt ihn auf einem Berge auch bei
unbeweglich ruhigem Sitzen oder Liegen, und ebenso auf einem
Turme selbst hinter schützender Brüstung. Leicht hört man die
eine oder andere Vermutung, aber bei näherer Prüfung halten
sie alle nicht stand. Das Ausbleiben des Höhenschwindels
im Ballon ist eine noch durchaus unerklärte sehr auf-
fällige Thatsache, die wir auch bei der Wegafahrt wieder
vollauf bestätigt fanden.
Höhenschwindel würde jeden Genuss, jedes Behagen zerstören
und die Ballonfahrt zur grössten Pein machen. Das Fehlen des
Höhenschwindels ist die Grundlage für das „stolze Glück % das
alle Ballonfahrer empfinden.
Am wunderbarsten empfindet man im Ballon die vollständige
Ruhe und dazu die feierliche Stille in der Höhe. Beide wirken
geradezu erhebend. Ob der Ballon rasch steige oder falle, ob er
mit mehr als Schnellzugseile dahin fahre, das alles kann man gar
nicht empfinden. Man fühlt sich selbst in der absolutesten Ruhe.
Erst wenn man Punkte auf der Erde unten fixiert, dann sieht
man dieselben sich verschieben, um so langsamer in je grösserer
Höhe man fährt; oder der Erdboden scheint langsam tiefer zu
fallen oder gegen uns heraufzusteigen, die Bäume scheinen grösser
zu werden. Erst dmch Überlegung erkennt man daraus, dass man
selbst fährt, steigt oder sinkt. Nur ganz selten, etwa bei plötz-
lichem Windwechsel oder Übergang von einer Windschicht in eine
-^
X,
/■■
— 44 —
andere, fühlt man einen Moment ein Wehen. Sonst bemerkt man
selbstverständlich nicht den leisesten Luftzug, da man ja gleich
schnell wie der Wind mit ihm geht. Das Luftschiff pustet nicht
und rasselt nicht, es schwebt stumm dahin, sanft, still, ohne Zittern,
(' ^ ohne Schwanken. Bei 2000 m über dem Boden vernimmt man
noch den Lokomotivenpfiff oder das Rasseln des Bahnzuges über
eine Brücke. Bei 5000 m wirds fast vollständig still. Man be-
merkt zuerst mit Erstaunen, wie es überhaupt ist, wenn gar kein
Geräusch ans Ohr schlägt, ein Zustand, den wir unten auf der
Erde kaum jemals erleben. Denn wenn es in der Tiefe stille ist,
so hören wir doch noch das Rauschen unseres Blutes im Ohre, —
hier oben über 6000 m ist die Cirkulation auch unhörbai' ge-
worden. Bei 5000 m und 5500 m hörte ich das Ticken der
Taschenuhren meiner Gefährten und der meinigen. Bei 6000 m
konnte ich auch dies nicht mehr wahrnehmen. Ob die schlechtere
Schallübertragung durch die verdünnte Luft oder Reduktion meiner
Sensibilität der Grund wai', kann ich nicht sagen. Die vollständige
Ruhe und die Stille im Ohr wirken zusammen. Lange hatte keiner
von uns ein Wort gesagt, als der hohle Ton völlig erschreckend über-
raschte, mit welchem Spelterini unterbrach: »Merkt Ihr, wie
totenstill es hier oben ist." Dr. Maurer findet diese Stille,
die auch ihm jetzt erst plötzlich zum Bewusstsein gekommen war,
unheimlich und geisterhaft, die „eisig-stille, ewige Ruhe der höchsten
Schichten des Luftmeeres, zu denen kaum noch ein Laut der Erde
hinaufdringt**. Mir machte diese Stille vielmehr einen beglückenden,
erhebenden Eindruck. Meine etwas empfindlichen Ohrennerven sind
selig, endlich einmal dem Gewirre der Geräusche und des Lärmes
und zugleich der Pflicht enthoben zu sein, die Töne zu sortieren
und zu deuten. Ich möchte oft in solche Stille mich flüchten!
um 12 Uhr 40 Minuten, als wir bei 6000 m ungefähr über Moudon
standen, vernahm man ein dumpfes, verschwommenes Geräusch —
das muss ein Kanonenschuss gewesen sein!
Ich bin überrascht von dem Gegensatz dieser Erscheinungen
zu denjenigen, die ich bisher im Gebirge beobachtet habe. Auf
- 45 —
Berggipfeln hört man sehr gut die Töne aus der Tiefe, während
der Schall nach unten sich schwer fortpflanzt, wobei eben dichtere
Luft durch dünnere in Schwingung versetzt werden muss. Auch
auf den höchsten Gipfeln vernahm ich stets noch das Bauschen
der Bäche und Flüsse oder das Bauschen des Windes an den
Felsecken. Zum Ballon, freilich höher als ich jemals auf Bergen
war, vermochte kein Geräusch mehr zu dringen. Vielleicht pflanzt
sich der Schall kräftiger dem Boden entlang fort, als durch die
ganz freie Luft. In der weit unter die Hälfte verdünnten Luft
muss die Distanz, bis in welche ein Schall reicht, kürzer und
zugleich die Intensität stets geringer sein.
Jeder von uns im Ballon hatte seine Aufgabe und war für
sich beschäftigt. Bis über 4000 m war uns Allen herrlich wohl.
Als wir gegen 4600 m gekommen waren, bemerkte Di*. Biedermann,
dass er etwas Herzklopfen habe. Nachher hörte es wieder auf.
Dann aber, bei 6000 m, klagte Dr. Maurer über heftigen stechenden
Kopfschmerz im Hinterhaupt und Übelkeit, und es stellte sich bei
ihm die richtige Bergkrankheit ein, die er offenbar durch einen
Schluck Cognac und Champagner, die ihm der Kapitän reichte,
noch verschlimmerte. Glücklich wir Abstinenten, die wir solchen
Missgriffen nicht ausgesetzt sind! Dr. Maurer nahm sich aber
enorm zusammen und beobachtete und notierte trotz fortwährendem
Unwohlsein stets weiter, alle Energie auf seine Aufgabe kon-
zentrierend, die er auch vorzüglich gelöst hat. Beim Aufstieg bis
6500 m befand ich mich noch * sehr wohl und arbeitstüchtig.
Ich habe auch in den Bergen, so hoch, als ich bisher gestiegen
bin (4600 m), niemals Erscheinungen von Bergkrankheit empfunden,
obschon dort ja infolge der Körperanstrengung die Verhältnisse
ungünstiger sind und die Erschöpfung viel näher liegt, als im
Ballon.
„Jetzt fangt es an kalt zu werden,** bemerkt Dr. Bieder-
mann. „Mir scheint, es dürfte nicht mehr viel über + 5® sein,"
sagte ich. „Es ist — 8^!" meldet Dr. Maurer, der vor dem
Thermometer steht. Stille, trockene Kälte wird wenig empfunden,
— 46 —
um so weniger, als wir zugleich der ungeschwächtesten Sonnen-
strahlung ohne Unterbruch ausgesetzt waren und zudem ja in
vollkommener Windstille — durch unsere Bewegung mit dem
Winde — standen. Bald wurde es — 15^ und noch kälter. Ich war
leicht gekleidet, aber ich Hess den Mantel und Forel's Jagdgilet,
die neben mir lagen, unbenutzt, ich hatte warm. Bei — 17® fingen
die Finger an sehr kalt zu werden. Ich zog die Handschuhe an.
Die Ohren schmerzen uns alle vor Kälte, ich binde ein Taschentuch
um. Mein Bart ist dick voll Eis. Aber am Körper empfinden
wir die Kälte kaum, und im besonderen bleiben uns die Fusse
gegen Erwarten warm, so dass wir die Filzstiefel nicht einmal an-
ziehen. Der Teppich im Gondelboden schützte gut.
Bei 6000 ra bis 6800 m fühlte ich mich, sitzend in einer
Ecke der Gondel auf einigen Ballastsäcken, unaussprechlich
behaglich und wohl. Halb träumend schaute ich hinaus über
die glänzenden Wolken, an den gelblichen Horizont oder zum
schwarzblauen Himmel. Ich hatte kein Bedürfnis nach künstlicher
Sauerstoffatmung, keine Atemnot, kein Unbehagen, keinen „Luft-
hunger*. Aber die Fähigkeit zur Arbeit war gering, die Energie
verschwunden. Nur das Notizbuch zu heben und zu schreiben
war eine starke Anstrengung. Mit einem photographischen Apparat
zu hantieren, erzeugte sofort beschleunigten Atem, ein völliges
Luftschnappen. In Ruhestellung war meine Atmung nicht be-
schleunigt. Mein Puls war sehr schwach, ich konnte ihn kaum
mehr finden, aber er schlug ruhig wie immer 60 bis 63 Schläge
per Minute. Allmählich empfand ich die andaueiiide Kälte von
— 20®, ich fror in meinem Sommeranzug. Die Beine zitterten,
mein Gesicht habe seine natürliche Färbung verloren, ich sei
wachsgelb, der Kapitän dunkelbraun geworden, sagte Dr. Maurer.
Es war aber so schön, ruhig sitzen zu bleiben! Lieber erfrieren,
als die Mühsal auf sich nehmen, den neben mir liegenden Mantel
aufzuheben und umzuschlagen! Es blieb mir mein Gewissen in
Thätigkeit, welches mir stets sagte: Du sollst beobachten, sollst
aufpassen, sollst notieren, und ich schaute gehorchend über den
— 47 —
Korbrand hinaus in die weite Welt, aber ich sah nichts besonderes,
ich beachtete nicht, was ich hätte beachten sollen, ich notierte
nichts mehr, ich fand die Programmpunkte in meinem Geiste nicht
mehr zusammen, ich war geistig wie gelähmt und stumpfsinnig
geworden, aber es war mir so wohl dabei. Nur ruhig unbeweglich
sitzen und den Ballon steigen lassen, hinauf fahren in himmlische
Höhen, das müsste ein seliges schönes Ende sein.
Der Kapitän hantierte mit den Sandsäcken und den Fhoto-
graphieapparaten tapfer weiter. Er wusste die Erschlaffung am
meisten zu beherrschen, er blieb am leistungsföhigsten, aber auch
er bekam eine matte Stimme, eine dunkle GesichtsiUrbung von
blauem Blut und keuchte und schnappte Luft, sobald er sich
anstrengte. Ebenso Dr. Biedermann. Von der Kälte bekam
letzterer etwas Naaenfluss. Als er sich schneuzen wollte, war es
ihm, wie wenn der ganze Kopf explodieren wollte, sofort rausste
er den Versuch einstellen und durfte fürderhin nur sachte ab-
wischen, so lange wii* in der Höhe blieben. Ganz übereinstimmend
atmeten wir drei ruhig, sobald wir stille blieben, aber jede Be-
wegung, jedes Heben eines Armes oder Beines erzeugte sofort das
Luftschnappen, das aber ebenso schnell wieder aufhörte.
Dr. Maurer beschreibt selbst seinen Zustand wie folgt:
„12 Uhr 40 Min., nahe 6000 m! Wir stehen überMoudon, das
Thennometer zeigt auf — 17^ C. und das Quecksilber-Barometer
markiert kaum noch 370 mm Luftdruck. (Die Luft ist auf weniger
als die Hälfte dessen verdünnt, auf das unser Körper eingerichtet und
angepasst ist.) In dieser enormen Höhe treiben wir eine volle
Stunde lang dahin. Ich fühle, dass ich zusehends schwächer werde;
zeitweise befällt mich starke Schlafsucht, aus der ich mich energisch
aufraffen muss. Leichtes Herzklopfen stellt sich ein, ich fühle
einen stechenden Kopfschmerz." Dr. Maurer erinnert sich hier an
Sivel und Crocd-Spinelli, die in solchen Höhen aus Sauerstoffmangel
infolge Luftverdünnung im Ballon starben. Er fährt dann fort:
„Ich setze einen Gummischlauch an das Ventil der einen Sauer-
stoffstahlflasche und sauge das belebende Gas in langen gierigen
— 48 —
Zügen in die Lungen. Der lästige Kopfschmerz, das zeitweise
leichte Herzklopfen nehmen sofort ab mid ich fühle unmittelbar
die erfrischende belebende Wirkung des Gases auf den geschwächten
Körper." Später, nach dem letzten Aufstieg, am Kulminationspunkte
unserer Bahn bei 6800 m über Gray ruft Dr. Maurer: «Ich
kann nicht mehr ablesen, ich sehe kaum mehr." Dr. Biedermann
machte die Ablesung am einen, ich am andern Instnimente, ich
sah noch ganz gut und scharf, war aber schlaff und gleichgültig
geworden.
Jeweilen, wenn der Ballon nur 200 bis 500 m wieder fiel,
waren wir sofort wieder neu belebt, die Wirkung der Luftver-
dünnung hielt nur so lange an, als wir in dieser Verdünnung uns
befanden.
Wenn wir wieder auf 4000 m heruntersanken, und das
Thermometer wieder auf — 5® gestiegen war, fohlt-e ich mich sehr
warm, so dass ich durch Aufknöpfen der Weste mir Kühlung
schaffen musste.
Wir haben aus ungenügender Erfahrung in den Vorbereitungen
für den Aufenthalt in einer Höhe von über 6000 m entschieden
einige Fehler begangen, die sich uns, zu spät, deutlich zeigten.
Freilich wir hatten nicht die Absicht, über 5000 m zu steigen.
Man sollte alle schützenden Einrichtungen fix und fertig treffen,
bevor man deren Notwendigkeit empfindet, denn wenn
man schon so hoch ist, dass das Bedürfnis sich einstellt, ist unter-
dessen die Schlaffheit erschienen, welche jede Manipulation in Frage
stellt oder gar durch eine Ohnmacht von einer Sekunde zur andern
unmöglich machen kann (Tissandier, Sivel, Croc^-SpineDi, Glaisher,
Coxwell etc.). Als wir merkten, dass es jetzt für uns alle am
Platze wäre, künstliche Sauerstoffatmung in Gang zu setzen, steckte
der Schlüssel noch nicht an der zu diesem Zwecke mitgenommenen
Bombe mit komprimiertem Sauerstoff und das Beduktionsventil zum
langsamen Auslassen des komprimierten Gases lag daneben, statt
schon mit samt den Kautschuckschläuchen angeschraubt zu sein.
Alles sollte schon früher fix und fertig bereit sein und man muss
- 49 —
die warm haltenden Überkleider anziehen, bevor man zu frieren
beginnt !
Indessen wir drei, die wir keinen Sauerstoff zu atmen be-
kommen haben und die Bombe gefüllt zur Erde zurückbrachten,
haben auch bei 6800 m bei Ruhe noch keine Not empfunden.
Ich kann hier die dramatische Scene nicht übergehen, welche
sich am Kulminationspunkte unserer Fahrt in der Gondel ab-
spielte. Der Kapitän wollte die Sauerstoffbombe, die neben ihm
an der Innenseite des Fahrkorbes aufrecht befestigt worden war,
zur künstlichen Atmung für uns drei ö&en, während Dr. Maurer
für sich schon seit einiger Zeit die Bombe benutzen konnte, welche
gleichzeitig der Aspiration für den Assmann^schen Thermographen
diente. »Wo ist der Schlüssel?* Wir suchen ihn, freilich in einer
so schlaffen Weise, dass man sich der Erfolglosigkeit nicht zu ver*
wundem brauchte. «Vielleicht ist er unter diesen Mantel, unter
jenen photographischen Apparat gelangt?* Der Meteorologe war
über die Bomben gesetzt, er hätte es wissen sollen! Ohne künstliche
Sauerstoffatmung duifte auch der Kapitän nicht wagen, weiteren
Ballast auszuwerfen. Er will aber unbedingt unter Mitwirkung der
künstlichen Sauerstoffatmung noch höher. Der Ehrgeiz des Luft-
schifferkapitäns macht sich geltend. Und er hat immer noch die
Hoffnung, es könnte höher oben ein Bückstrom uns in die Schweiz
fuhren. Maurer widei*spricht sehr entschieden, er wisse be-
stimmt, dass er bei weiterem Steigen in sichere Lebensgefahr ge-
rate, jetzt soll die Ventilleine gezogen und der Ballon zum Sinken
gebracht werden! Ich meinerseits erklärte ruhig und bestimmt:
,f Kapitän, es ist genug, jetzt nicht mehr höher; es hat keinen wesent-
lichen Nutzen!* — Denn mir schien die Situation nun auch sehr
geföhrlich zu werden. Da fingierte der Kapitän, er könne die
Ventilleine nicht ziehen, weil er vergessen habe, welche von beiden
aus dem Ballon herabhängenden Leinen die normale Ventilleine
und welches die Reissleine sei, und dürfe nicht riskieren, an der
Reissleine zu probieren, sonst stürzen wir. Ich antwortete ihm:
„Das zu wissen ist Deine Pflicht; übrigens weiss ich trotz meinem
4
— 50 —
schlechten Gedächtnis und meiner Schlaffheit hier oben ganz be-
stimmt, dass Du am roten Seil zu ziehen hast, das weisse ist die
Reissleine. " Der Kapitän schaute mich an und erkannte den tiefen
Ernst meines Willens, zudem fehlte der Schlüssel zum Sauerstoff
immer noch. Nun fugte er sich, zwar ungera, aber er braucht es
nicht zu bereuen, er hat vernünftig gehandelt. Dass ihm die
Qualitäten nicht fehlten, so hoch zu gehen, wie es überhaupt je-
mandem möglich ist, daran zweifelte keiner von uns. Er hat es
gewollt, er ist nicht Schuld, dass es nicht so gekommen ist, wir
haben ihn daran verhindert. Er zog 3 Uhr 43 Minuten an der Klappe,
man hörte das Rauschen des austretenden Wasserstoffgases. Nach
dem Aneroidbarometer, das ich nun beobachtete, fielen wir noch
nicht, er zog ein zweites und drittes Mal. Jetzt kamen wir ins
Sinken. Dass dort droben unser Meteorologe den ^ Schlüssel zum
Himmelreich'' d. h. den Schlüssel zur Sauerstoffbombe im Stiefel
wohl verborgen hielt, während wir ihn suchten, erfuhren wir selbst
erst einige Tage später. Jene Scene bei 6800 m hat übrigens
unser Einvernehmen nicht getrübt, sondern befestigt. Wir sind
alle darüber einig, dass das Richtige geschehen ist.
Während stets die steigende Ballonbeweguug mit ihrer Luft-
druckabnahme nur wohlthätig wirkt, abgesehen von den Höhen
über 5000 oder 6000 m, empfindet man beim Fallen einen dumpfen
Druck in den Ohren. Durch häufiges Schlucken kann die Spannung
im Ohr unter etwas Knall immer wieder ausgeglichen werden.
Am Morgen der Ballonfahrt, ca. 7 ühr, hat jeder von uns
sein gewöhnliches Frühstück, bestehend aus einer Tasse Gacao
oder Milch mit Kaffee und ein oder zwei Brötchen, eingenommen.
Für die Fahrt waren wir überreichlich verproviantiert. Zu dem,
was wir mitzunnehmen besorgt waren, kamen noch freundliche
Spenden, die man uns im letzten Momente in die Gondel
brachte. Wir hätten, irgend in einem verlorenen Winkel fern von
Menschen landend, mehrere Tage aushalten können. Aber das
Schauen allein erfüllte uns in der Höhe, ein Gefühl von körper-
lichen Bedürfnissen kam nicht auf. Ich habe um Mittagszeit drei
— 51 —
Beeren von einer Traube ans dem Weinberg meines lieben Kollegen
Prof. de Riedmatten in Sitten gegessen, sonst nichts, weder festes
noch flässiges, bis abends 9 Uhr. Meine Gefährten empfanden
gegen Abend Hunger und stillten denselben an unserem Proviante
erst eine Viertelstunde nach dem Abstieg. Ich hatte auch damals
noch weder Bedürfnis noch gönnte ich mir die Zeit zum essen.
Die Luft in der Höhe war sehr trocken. Der Feuchtigkeits-
gehalt betrug während Stunden blos 22 bis 30 ^o. Dem ent-
sprechend war auch keine Hamabsonderung vorhanden. Keiner
von uns fühlte während der ganzen Fahrt und trotz der Kälte
das geringste Bedürfnis in dieser Beziehung. Um so auffallender
ist es, dass auch kein Durstgefühl entstanden war, selbst nicht bei
denjenigen meiner Gefährten, die sonst, wie alle Nichtabstinenten,
viel schneller durstig sind, als unsereiner. Auch ihre Flaschen
kamen grösstenteils voll zur Erde zurück. Erst abends, ca. 9 Uhr,
nach strenger Arbeit, trank ich öine Flasche mitgenommener Hafer-
grütze, die in Sitten heiss in einen wollenen Strumpf eingewickelt
worden und noch jetzt nach der Beise lauwarm geblieben war.
Nachts 12 Uhr endlich konnten wir uns im guten Gasthaus zu
Prauthoj an den Tisch setzen, es war vorher weder Zeit noch Ge-
legenheit dazu gegeben.
Ein Gefühl von Ermattung oder Hunger habe ich keinen
Moment, weder im Ballon, noch nach dem Abstieg gehabt, und
auch die Gefährten fühlten sich am folgenden Tage vollkommen
wohl und frisch.
Aber heiss kam es mir vor da unten auf dem Erdboden!
Um ordentlich beim Demontieren des Ballons, beim Zusammenlegen
und Einpacken, beim Bergen der Instrumente etc. eingreifen zu
können, mnsste ich erst hinter einem Busche mein dünnes Flanell-
hemd gegen ein leichtes baumwollenes vei*tauschen und den Bock
ganz bei Seite legen, trotzdem ein kräftiger Nordost über die
Plateaufläche blies.
Wenn man auf den Bergen in trockener Höhenluft* bei scharfem
Sonnenschein einige Stunden weilt, rötet sich die Haut und springt
— 48 —
Zögen in die Lungen. Der lästige Kopfschmerz, das zeitweise
leichte Herzklopfen nehmen sofort ab mid ich fühle unmittelbar
die erfiischende belebende Wirkung des Gases auf den geschwächten
Körper.'' Später, nach dem letzten Aufstieg, am Kulminationspunkte
unserer Bahn bei 6800 m über Gray ruft Dr. Maurer: »Ich
kann nicht mehr ablesen, ich sehe kaum mehr." Dr. Biedermann
machte die Ablesung am einen, ich am andern Instnimente, ich
sah noch ganz gut und scharf, war aber schlaff und gleichgültig
geworden.
Jeweilen, wenn der Ballon nur 200 bis 500 m wieder fiel,
waren wir sofort wieder neu belebt, die Wirkung der Luftver-
dännung hielt nur so lange an, als wir in dieser Verdünnung uns
befanden.
Wenn wir wieder auf 4000 m heruntersanken, und das
Thermometer wieder auf — 5^ gestiegen war, fühlt« ich mich sehr
warm, so dass ich durch Aufknöpfen der Weste mir Kühlung
schaffen musste.
Wir haben aus ungenügender Erfahrung in den Vorbereitungen
für den Aufenthalt in einer Höhe von über 6000 m entschieden
einige Fehler begangen, die sich uns, zu spät, deutlich zeigten.
Freilich wir hatten nicht die Absicht, über 5000 m zu steigen.
Man sollte alle schützenden Einrichtungen fix und fertig treffen,
bevor man deren Notwendigkeit empfindet, denn wenn
man schon so hoch ist, dass das Bedürfnis sich einstellt, ist unter-
dessen die Schlaffheit erschienen, welche jede Manipulation in Frage
stellt oder gar durch eine Ohnmacht von einer Sekunde zur andern
unmöglich machen kann (Tissandier, Sivel, Crocö-Spinelli, Glaisher,
Coxwell etc.). Als wir merkten, dass es jetzt für uns alle am
Platze wäre, künstliche Sauerstoffatmung in Gang zu setzen, steckte
der Schlüssel noch nicht an der zu diesem Zwecke mitgenommenen
Bombe mit komprimiertem Sauerstoff und das ßeduktionsventil zum
langsamen Auslassen des komprimierten Gases lag daneben, statt
schon mit samt den Kautschuckschläuchen angeschraubt zu sein.
Alles sollte schon früher fix und fertig bereit sein und man muss
- 49 -
die waim haltenden Überkleider anziehen, bevor man zu frieren
beginnt !
Indessen wir drei, die wir keinen Sauerstoff zu atmen be-
kommen haben und die Bombe gefüllt zur Erde zurückbrachten,
haben auch bei 6800 m bei Buhe noch keine Not empfunden.
Ich kann hier die dramatische Scene nicht übergehen, welche
sich am Kulminationspunkte unserer Fahrt in der Gondel ab-
spielte. Der Kapitän wollte die Sauerstoff bombe, die neben ihm
an der Innenseite des Fahrkorbes aufrecht befestigt worden war,
zur künstlichen Atmung für uns drei öffiien, während Dr. Maurer
für sich schon seit einiger Zeit die Bombe benutzen konnte, welche
gleichzeitig der Aspiration für den Assmann'schen Thennogi'aphen
diente. »Wo ist der Schlüssel?* Wir suchen ihn, freilich in einer
so schlaffen Weise, dass man sich der Erfolglosigkeit nicht zu ver-
wundern brauchte. „Vielleicht ist er unter diesen Mantel, unter
jenen photographischen Apparat gelangt?* Der Meteorologe war
über die Bomben gesetzt, er hätte es wissen sollen! Ohne künstliche
SauerstofiFatmung durfte auch der Kapitän nicht wagen, weiteren
Ballast auszuwerfen. Er will aber unbedingt unter Mitwirkung der
künstlichen SauerstofiFatmung noch höher. Der Ehrgeiz des Luft-
schiflFerkapitäns macht sich geltend, und er hat immer noch die
Hoffnung, es könnte höher oben ein Rückstrom uns in die Schweiz
fuhren. Maurer widerspricht sehr entschieden, er wisse be-
stimmt, dass er bei weiterem Steigen in sichere Lebensgefahr ge-
rate, jetzt soll die Ventilleine gezogen und der Ballon zum Sinken
gebracht werden! Ich meinerseits erklärte ruhig und bestimmt:
„Kapitän, es ist genug, jetzt nicht mehr höher; es hat keinen wesent-
lichen Nutzen!* — Denn mir schien die Situation nun auch sehr
gefährlich zu werden. Da fingierte der Kapitän, er könne die
Ventilleine nicht ziehen, weil er vergessen habe, welche von beiden
aus dem Ballon herabhängenden Leinen die normale Ventilleine
und welches die Reissleine sei, und dürfe nicht riskieren, an der
Reissleine zu probieren, sonst stürzen wir. Ich antwortete ihm:
„Das zu wissen ist Deine Pflicht; übrigens weiss ich trotz meinem
4
— 50 —
schlechten Gedächtnis und meiner Schlaffheit hier oben ganz be-
stimmt, dass Du am roten Seil zu ziehen hast, das weisse ist die
B.eissleine.'' Der Kapitän schaute mich an und erkannte den tiefen
Ernst meines Willens, zudem fehlte der Schlüssel zum SauerstoflF
immer noch. Nun fugte er sich, zwar ungera, aber er braucht es
nicht zu bereuen, er hat vernünftig gehandelt. Dass ihm die
Qualitäten nicht fehlten, so hoch zu gehen, wie es überhaupt je-
mandem möglich ist, daran zweifelte keiner von uns. Er hat es
gewollt, er ist nicht Schuld, dass es nicht so gekommen ist, wir
haben ihn daran verhindert. Er zog 3 Uhr 43 Minuten an der Klappe,
man hörte das Rauschen des austretenden Wasserstoffgases. Nach
dem Aneroidbarometer, das ich nun beobachtete, fielen wir noch
nicht, er zog ein zweites und drittes Mal. Jetzt kamen wir ins
Sinken. Dass dort droben unser Meteorologe den „Schlüssel zum
Himmelreich** d. h. den Schlüssel zur Sauerstoffbombe im Stiefel
wohl verborgen hielt, während wir ihn suchten, erfuhren wir selbst
erst einige Tage später. Jene Scene bei 6800 m hat übrigens
unser Einvernehmen nicht getrübt, sondern befestigt. Wir sind
alle darüber einig, dass das Richtige geschehen ist.
Während stets die steigende Ballonbewegung mit ihrer Luft-
druckabnahme nur wohlthätig wirkt, abgesehen von den Höhen
über 5000 oder 6000 m, empfindet man beim Fallen einen dumpfen
Druck in den Ohren. Durch häufiges Schlucken kann die Spannung
im Ohr unter etwas Knall immer wieder ausgeglichen werden.
Am Morgen der Ballonfahrt, ca. 7 Uhr, hat jeder von uns
sein gewöhnliches Frühstück, bestehend aus einer Tasse Cacao
oder Milch mit Kaffee und ein oder zwei Brötchen, eingenommen.
Für die Fahrt waren wir überreichlich verproviantiert. Zu dem,
was wir mitzunnehraen besorgt waren, kamen noch freundliche
Spenden, die man uns im letzten Momente in die Gondel
brachte. Wir hätten, irgend in einem verlorenen Winkel fem von
Menschen landend, mehrere Tage aushalten können. Aber das
Schauen allein erfüllte uns in der Höhe, ein Gefühl von körper-
lichen Bedürfnissen kam nicht auf Ich habe um Mittagszeit drei
— 51 —
Beeren von einer Traube aus dem Weinberg meines lieben Kollegen
Prof. de Biedmatten in Sitten gegessen, sonst nichts, weder festes
noch flüssiges, bis abends 9 ühr. Meine Gefährten empfanden
gegen Abend Hunger und stillten denselben an unserem Proviante
erst eine Viertelstunde nach dem Abstieg. Ich hatte auch damals
noch weder Bedürfnis noch gönnte ich mir die Zeit zum essen.
Die Luft in der Höhe war sehr trocken. Der Feuchtigkeits-
gehalt betrug während Stunden blos 22 bis 30 ^o. Dem ent-
sprechend war auch keine Harnabsonderung vorhanden. Keiner
von uns fühlte während der ganzen Fahrt und trotz der Kälte
das geringste Bedürfnis in dieser Beziehung. Um so auffallender
ist es, dass auch kein Durstgefühl entstanden war, selbst nicht bei
denjenigen meiner Gefährten, die sonst, wie alle Nichtabslinenten,
viel schneller durstig sind, als unsereiner. Auch ihre Flaschen
kamen grösstenteils voll zur Erde zurück. Erst abends, ca. 9 Uhr,
nach strenger Arbeit, trank ich öine Flasche mitgenommener Hafer-
grütze, die in Sitten heiss in einen wollenen Strumpf eingewickelt
worden und noch jetzt nach der Reise lauwarm geblieben war.
Nachts 12 Uhr endlich konnten wir uns im guten Gasthaus zu
Prauthov an den Tisch setzen, es war vorher weder Zeit noch Ge-
legenheit dazu gegeben.
Ein Gefühl von Ermattung oder Hunger habe ich keinen
Moment, weder im Ballon, noch nach dem Abstieg gehabt, und
auch die Gefährten fühlten sich am folgenden Tage vollkommen
wohl und frisch.
Aber heiss kam es mir vor da unten auf dem Erdboden!
Um ordentlich beim Demontieren des Ballons, beim Zusammenlegen
und Einpacken, beim Bergen der Instrumente etc. eingreifen zu
können, musste ich erst hinter einem Busche mein dünnes Flanell-
hemd gegen ein leichtes baumwollenes vertauschen und den ßock
ganz bei Seite legen, trotzdem ein kräftiger Nordost über die
Plateaufiäche blies.
Wenn man auf den Bergen in trockener Höhenluft* bei scharfem
Sonnenschein einige Stunden weilt, rötet sich die Haut und springt
— 52 —
an den Händen und im Gesicht auf, und zwai' nicht nur in der
Julisonne, auch die September- und Oktobersonne kann noch solche
Folgen haben. Das alles blieb bei uns im Ballon, trotz der un-
unterbrochenen schai'fen Strahlung, vollständig aus. Die Erklärung
dafür liegt wohl in dem Umstände, dass wir, weil mit dem Winde
gehend, in völliger relativer Windstille uns befanden. Die feuchte
Luftschicht um die Haut herum wurde nicht weggeblasen, die
Haut deshalb nicht ausgetrocknet; man sah sogar bei bloss 25^0
Feuchtigkeit den Hauch, freilich nur bis auf kurze Distanz vor
dem Munde, und trotz dieser Trockenheit schlug er sich als Reif
und Eis im Barte nieder. Weniger erklärlich bleibt mir die
Thatsache, dass die anhaltende Blendung von den weissen Wolken-
gebilden um und unter uns unsere Augen gar nicht angegriffen hat.
Unsere Erfahrungen über das Befinden eines an sich gesunden
Menschen im Ballon stimmen vollständig mit denjenigen anderer
Luftschiffer überein. Bei guter Witterung ist eine Ballonfahrt in
Höhen bis zu 4000 oder 5000 m ein unermesslicher Genuss von
keinem Missbehagen gestört. Bei manchen beginnen bei 4500 m,
bei den zäheren und abgehärteteren Naturen erst nahe an 6000 m
oder bei 6500 m die unangenehmen Wirkungen der verdünnten
Luft. Gegen die Kälte ist es stets leicht sich zu schützen. Es
scheint, dass über 6000 m alle zunehmende Erschlaffung empfinden,
der aber durch künstliche Sauerstoffatmung entgegen getreten
werden kann. Über 7000 m ist für jedermann ohne künstliche
Atmung höchste Lebensgefahr vorhanden. Die Fahrten bis in
Höhen von über 9000 m, welche Berson (meteorol. Institut Berlin)
ausgeführt hat, erforderten stets von 6000 m an künstliche Sauer-
stoffatmung.
Wird man den Gaurisankar ersteigen können? Im Luftschiff
mit Sauerstoffatraung gewiss dereinst — aber als Bergsteiger?
Ich halte nach den Erfahrungen der Luftschiffer die Arbeit des
Steigens in gewöhnlicher Art in Höhen von 7000 bis 8840 m, in
welche hinauf man sich unmittelbar vorher begeben hat, f&r ganz
unmöglich. Jedenfalls würde auch da künstliche Sauerstoffatmung
- 53 —
helfen müssen. Gewiss spielt die Akkommodation eine bedeutende
Solle und sie allein schafft vielleicht eine Möglichkeit. Man müsste
in Stufen steigen, jeweils wieder einige Tage auf einer höheren
verweilen und alles vorbereiten zur folgenden Stufe. So hat der
Walliser Führer Zurbriggen den Aconcagua, ca. 6950 m hoch,
erstiegen, freilich unter grossen Atembeschwerden. Ich denke mir
die Berggänger mit der Sauerstoffbombe im Toinister und dem
Schlauch im Munde langsam vordringend. Ein ungeheurer Apparat
von Hülfsmitteln und Hülfsmannschaften, die, auch wieder in Stufen
allmälich akkommodiert, ihre Tragarbeit verrichten würden, wäre not-
wendig. Bei der Ballonfahrt fallt die Hülfe der allmälichen Ak-
kommodation weg, weil man zu rasch hinaufkommt und nur kurz
verweilen kann. Der Bergsteiger hat gegenüber dem Luftschiffer
den Vorteil der Akkommodation, aber den grossen Nachteil der
strengen Köi-perarbeit.
Auch Pferde, Maultiere versagen wegen Bergkrankheit über
4000 m Höhe leicht.
Und hinauf in die Höhen, welche unsere meteorologischen
„ballons sondes** erreichen,, in die 15000 bis 18000 m über der
Meerniveaufläche mit — 80^ C wird niemals ein Mensch lebend zu
dringen vermögen. Die künstliche Sauerstoffatmung bewahrt uns
nicht vor der Expansion der Gase, die in den Flüssigkeiten unseres
Körpers, besonders im Blute, enthalten sind und deren Ausscheidung
zu Luftembolie und dadurch zum plötzlichen Tode führen muss;
sie bewahrt uns auch nicht vor der Gefahr des Zerspringens von
Blutgefilssen, vor Herzschlag etc., welche infolge der Abnahme
des Luftgegendruckes viel leichter eintreten, als in der Tiefe.
E. Land und Berge von Oben.
Beim Blick vom Ballon herab auf das Land, klare Luft und
heller Himmel vorausgesetzt, üben-ascht stets am meisten die
wunderbare Kraft und Harmonie der Farben. Die Wälder sehen
aus wie das schönste saftigste Moos, die verschiedenen Farb-
tönungen verschiedener Baum- oder Waldarten sind viel klarer zu
— 54 —
1
sehen als in der Regel unten auf der Erde. Die Farbunterschiede
von Kulturwiese und Naturwiese, von verschiedenen Feldern, Obst-
bäumen etc. bilden ein heniiches Gewebe. Dazu kommt, dass
vom Ballon gesehen man häufig jeden Baum sich noch von seinem
eigenen Schatten abheben sieht. Die Seen erscheinen mehr in
ihrer tiefen blauen oder grünen Eigenfarbe, wenn wir nahe über
denselben stehen, während sie uns unten an der Erde betrachtet
stets zu einem mehr oder weniger grossen Teil oder auch ganz ge-
\ spiegelte Himmelsfarbe bieten. Alle Farbunterschiede in der
^\ Landschaft erscheinen vom Ballon aus viel stärker und lebhafter,
viel farbenfrischer, die Luftperspektive ist viel geringer als unten.
Dennoch ist das ganze nicht grell, sondern ein wunderbarer har-
monischer Duft durchwebt es. Steigen wir höher und höher, so
werden die Farbunterschiede geringer, ein feiner Dunstschleier
legt sich allmälich zwischen uns und die Landschaft zu unseren
Füssen. Bei über 4000 m Höhe hat er eine blass violette Färbung.
Bei über 6000 m schien mir das ganze Land unter uns stets leicht
blass, violett, dumpf abgetönt zu sein. Es ist ein viel grösserer
Genuss, in geringer Höhe in 1000 bi* 2000 m über dem Boden
zu fahren, als in 3000 bis 5000 m.
Die Erklärung für die angedeuteten Erscheinungen ist nicht
schwierig zu geben:
Blicken wir unten auf der Erde nach einem 10 km entfernten
Berg, so schauen wir durch 10 km dichte Atmosphäre hindurch
und daraus ergiebt sich die starke blaue luftperspektivische Ab-
tönung aller Farben, wodurch die ursprünglichen Unterschiede
stark verwischt werden. Schauen wir aber vom Ballon hinab auf
den Berg, so führt nur ein Teil unserer Blicklinie durch die tiefen
dichteren Luftschichten, ein grösserer Teil durch dünnere und
deshalb auch weniger färbende Luft. Die blaue Luftbrille, die
zwischen uns und dem Berge liegt, ist blasser gefärbt und deshalb
dringen die Eigenfarben des Berges unveränderter in unser Auge.
Der Farbenglanz der Erde, den wir staunend genossen, war bei
der Wega-Fahrt besonders herrlich über dem Khonethal und den
— 55 —
Waadtländeralpen. Weiter gegen Norden kam die Trübung der
Luft, der Herbstdunst mehr und mehr zur Geltung und zerstörte
den Farbenglanz. Bei andern Ballonfahrten, bei ganz hellem Wetter,
war er mir noch auffallender als während der Wegafahrt.
Viele Stücke der Landschaft, so besonders Städte und Dörfer,
sehen aus wie ein wunderschön gemalter Plan. Eirchtüi-me, senk-
recht unter uns, sind von den Häusern durch ihren langen Schatten
zu unterscheiden. — Die Pappeln in langen Keihen neben den
Bhonedämmen zeichnen sich dm'ch ihre langen Schatten am besten
vor andern Bäumen aus. Die Strassen durchziehen wie weisse
Fäden die Landschaft und verbinden einen Ort mit dem andern.
Die Eisenbahnen unterscheiden sich durch ihre weniger gekrümmten
Formen und ihre dunklere Farbe und die Flüsse glänzen meistens in
der Spiegelfarbe des Himmels hell heraus. Sehr in die Augen fallende
Gegensätze zeigen z. B. die alten Überschwemmungslande der Ehone
und ihrer Seitenbäche einerseits, andererseits die sonnigen Abhänge
nördlich des Khonethales, wo tausende von Mäuerchen terrassen-
förmige Kebberge halten und wo dazwischen niedliche sonngebräunte
Dörfchen in Baumwiesen kauern. Wiederum ganz anders sehen
die Waldregionen der Schattengehänge oder der höheren Kegionen
aus. Anschwemmungsebene, Kulturzone, Waldi-egion, Alpenregion,
Schutt, Fels, Schnee und Gletscher, alles überblickt sich in seiner
stufenweisen Anordnung und seinem mannigfaltigen Ineinanderweben.
Zu unsern Füssen liegt der gewaltige Bergsturz der Diablerets
von 1749. Man übersieht die Fluidalstruktur seines Trümmer-
stromes und dessen Aufbranden an den im Wege stehenden Berg-
koulissen, sowie die dadurch bedingte Ablenkung der Schuttmassen.
Überall lassen die Rinnen an den Berghängen erkennen, wie die
Abwitterungsvorgänge den Berg modellieren und seine Form be-
herrschen. Es ist eine in den natürlichsten Farben gemalte Land-
karte mit einem unermesslichen Detail, auf die wir hinunterblicken
und die uns in klarem Zusammenhange auf den ersten Blick das
zeigt, was wir unten nur langsam Stück für Stück, eins nach dem
andern finden und sehen können. Je mehr Naturerkenntnis man
— 56 —
schon mitbringt, desto grösser wii'd der Genuss ina Überschauen,
desto mehr leuchtet unserem Auge in ergreifender Klarheit das
entgegen, was wir vorher nur im Innern des Geistes konstruiert,
nicht mit leiblichem Auge gesehen hatten. Ich habe geologisch
und geographisch vom Ballon herab nicht Dinge entdeckt, die neu
sind, oder die nicht auch unten entdeckt werden könnten. Manches
aber, worüber ich zu lehren hatte auf Grundlage einer Vorstellung,
die aus vielen Einzelbildern mühsam zusammengesetzt worden ist,
das habe ich hier wirklich nun so gesehen und berichte in Zukunft
über . das Gleiche nicht nur auf Grund meiner Vorstellungskraft,
sondern der direkten Anschauung. Zu schauen, was ich
mir vorher bloss vorstellen musste, das war der uner-
messliche Genuss! Ein Naturtheater war es, das Bild um
Bild vom Bhonethal über das Schweizerland bis weit nach Frank-
reich hinaus an uns vorübeifühi-te. Ich kann diese Bilder nicht
aufzählen, man kann sie so wenig beschreiben, wie eine wunder-
bare Musik durch Worte dem Leser zum Genüsse gebracht werden
kann. Der Genuss ist leider an sich egoistisch, er lässt sich
schwer vermitteln und verallgemeinern.
Wie eine in natürlichen Farben gemalte Landkarte, sagte ich,
liegt das Land unter uns. Vergleichen wir den Blick aus dem
Ballon mit der graphischen Landesdarstellung in Belief und
Karten.
Zunächst muss ich sagen, dass das Farbenbild der Berge
von oben mich in keiner Art überrascht hat, sondern vollständig
mit dem übereinstimmt, was ich erwartet habe. Die Art und
Weise, wie wir unsere Gebirgsreliefs in natürlichen Farben zu
malen bestrebt gewesen sind, entspricht der Natur. Am vollen-
detsten entspricht das Imfeld'sche Relief des Vierwaldstädtersee's,
wie es auf dem eidgen. Generalstabsbureau in Bern aufgestellt ist,
z. T., aber weniger vollkommen, auch das 1 : 25000 Relief der
Herren Imfeid und Becker, wie es im Gletschergarten in Luzem
steht, das Simon'sche Relief des Finsteraargebietes in Basel und
andere mehr, dem Farbeneindruck, den mir aus 5000 bis 5500 m
il
I i
M
i,.\
— 57 —
Höhe die Waadüänder- und Freiburger-Alpen gemacht haben. Ich
wüsste nicht viel daran zu verbessern. Ganz besonders scheint
mir im erstgenannten die Abtönung von saftigem Grün der Tiefe,
in Gelbgrun der höheren Alpen und die Waldfarbe sehr gut ge-
troffen zu sein. Allerdings entspricht die Höhe, in der unser Auge
gewöhnlich ein solches Belief ansieht, nicht 5000 bis 6000 m,
sondern dem Dreifachen. Allein von der dreifachen Höhe würde
wahrscheinlich das Gesamtfarbenbild ähnlich bleiben, nur würde
aUes etwas matter und unklarer und etwas weniger gelblich sein.
Zudem möchte ich den Satz gar nicht unterschreiben, ein Belief
müsste so bemalt werden, wie man es aus der der normalen
Augenhöhe des Beschauers entsprechenden Höhe sehen würde.
Man kann ja mit dem Auge beim Beschauen eines Beliefs auch
näher gehen. Im besonderen möchte ich noch hervorheben, dass
nach dem, was ich vom Ballon gesehen habe, es gerechtfertigt ist,
ein Belief ziemlich in den Farben zu malen, in denen das Terrain dem
Auge in der Nähe erscheint mit bloss ganz schwacher Milderung
der Kontraste, denn was gerade bei dei- Ballonfahrt uns stets am
meisten überrascht, das ist eben die unmittelbare volltönige Kraft
der Landschaftsfarben, die bei klarer Luft viel weniger dmxh
Luftperspektive verändert sind, als wenn wir sie unten von der
Erdoberfläche aus betrachten.
Schon von hoher Bergkante herab gesehen verschwinden die
Höhendifferenzen in den tieferen Teilen des Gehänges für das Auge,
so dass der Absteigende glaubt, bei jenem Baume unten im Thalboden
zu sein, während es von dort noch viel tiefer hinabgeht. Vom
Ballon aus ist diese verflachende Wirkung im Bilde der Berge noch
viel stärker. Die Berge erscheinen unglaublich flach, wie von oben
herab zusammengequetscht und imponieren gar nicht mehr. Selbst
die beste Beleuchtung giebt bei weitem nicht die vielen Abstufungen
in der Schattierung wie wir sie in Landkarten anwenden, um das
Belief herausspringen zu lassen. Fast giebt es nur die drei Un-
terschiede: „besonnf*, „nichtbesonnt (schattig)** und „beschattet
(im Schlagschatten)*. Zwischenstufen sind ausser hie und da „im
— 58 —
Streiflicht** kaum zu sehen. Der schauerliche Kessel am Nord-
abhang der Diablerets, der Creux du Champ, war nur durch den
verdunkelnden Schlagschatten auffallend. Ich musste lange senk-
recht nach unten suchen, bis ich den Kocher de Naye und die
Dent de Jaman etc. erkennen konnte. Diese kühn geformten Gipfel
sprangen nicht durch ihre Schattierung wie bei einer Keliefkarte
in die Augen, sondern ich konnte sie bloss aus dem Verlauf der
umgebenden Thäler und Schluchten und der Wege und Häuser
allmälich herausfinden. Dass das Kurhaus Aux Avants höher
liege als Glion und Glion höher als Montreux, war aus der Färbung
der umgebenden Beben, Kastanienwälder, Tannenwälder und aus
dem Verlauf der Bachrinnen und den Windungen der Strassen zu
schliessen, aber der blosse Anblick bot nicht so viel Gebirgsrelief,
dass man eine Höhendifferenz dieser Orte ohne weiteres bemerken
konnte. Um so auffallender ist es mir geblieben, dass der Neuen-
burgersee auf den ersten Blick als höher gelegen als der Genfer-
see erschien.
Besonders merkwürdig war in dieser Beziehimg das Jurage-
birge. Der ganze Jura unter uns erschien überhaupt gar nicht als
Gebirge. Hier half der Umstand wesentlich mit, dass die Sonne
schon gegen WSW stand und somit der SE-Abfall und der NW-Ab-
fall der lang gestreckten Juraketten keine starken Beleuchtungs-
differenzen mehr aufweisen konnten. Aus der Höhe erschienen
auch die Felswände des Juragebirges sehr gering. Das Einzige,
was überhaupt den Jura vom umgebenden Lande unterscheiden
liess, war die prachtvoll streifenförmige Anordnung der Wälder
und Wiesen. Die einen Wiesenstreifen waren dörferbesetzt, die
anderen nicht. Die ersteren bedeuteten offenbar Längsthäler, die
letzteren die Weiden auf den Bergrücken. Die Waldstreifen
entsprechen den Gehängen der Berge. Wie runde Waldringe mit
einem hellen Felsrand erschienen die Kessel, so z. B. gerade unter
uns der Creux von St. Sulpice. Nichts liess Höhe und Tiefe direkt
sehen. Nichts liess merken, dass hier 1000 m relative Erhebung
vorkommen.
'l'.SSt, L^^JLr
— 59 —
Das schweizerische Mittelland zwischen AlpeD und Jura er-
schien völlig flach. Da waren es wiederum bloss die Farben von
Wald, Wiese, Feld und besonders die Dörfer, die Strassen und
die meist mit Gebüsch berandeten Bäche und Flüsse, welche ein
Belief erraten liessen.
Ganz gewiss sind alle Schattierungen in Tönen oder Schraffen
oder Horizontalkurven, welche wir in den Landkarten anwenden,
um die Yertikalgliederung des Landes zu zeichnen, verglichen mit
dem wirklichen Bilde des Landes aus der Höhe gesehen, enorm
übertrieben. Die Reliefwirkung unserer Karten ist unvergleichlich
gross und stark gegenüber dem Bilde vom Ballon aus. In unseren
Karten springt uns das Relief ins Auge, in Wirklichkeit dagegen
viel mehr das durch die Kulturen bedingte Parbenbild und vom
Ballon aus sehen wir nur sehr wenig direkt vom Relief. Indem ich
diese Differenz im Anblick der Landschaft aus dem Ballon und der
Karte hervorhebe, will ich unsere Karten durchaus nicht tadeln.
Im Gegenteil ist es, wenn ich mich so ausdrücken darf, ein Mangel,
dass wir im Ballon so wenig vom Relief sehen. Wir leben aber
nicht im Ballon, die Karten sind nicht für die Ballonfahrer ge-
macht, wir sehen das Relief unten viel deutlicher im Profil der
Berge, es hat für uns und unser Leben gi-osse Bedeutung und es
soll deshalb in der Karte recht deutlich sein. Auch soll die Karte
dazu dienen, unserem geistigen Auge die Gesamtform des Gebirges
zu vermitteln und dazu darf sie sich einer geometrisch konven-
tionellen Methode bedienen, die den Zweck erfüllt — ganz unbe-
kümmert darum, ob das Land vom Ballon aus ebenso aussehe
oder nicht. Die Karte verhält sich hierin ganz anders als das
Relief. Sie ist ja eine konventionelle Darstellungsart und sie darf
eine konventionelle Methode anwenden, um das zum Ausdruck zu
bringen, was wir zu erfassen wünschen. Es ist ebenso berechtigt, die
orogi'aphische Gliederung in der Karte stark hervorzuheben, sagen
wir: zu übertreiben, als es andererseits verkehrt wäre, in einem
Relief Schraffur- oder Höhenschichtentöne oder Überhöhung an-
zuwenden.
— 60 —
Ein Fehler aber unserer Karten ist mir durch die Ballonfahrt
wiederum recht deutlich vor die Augen getreten : D ie Beleu chtung
aus NW! Wie verkehrt ist es von vorneherein, eine Gegend im
Kartenbilde so zu beleuchten, wie sie niemals in Wirklichkeit be-
leuchtet sein kann. Zieht man nicht die Abstraktion zur geo-
metrischen Vertikalbeleuchtung vor, will man also schiefe Be-
leuchtung, so sei sie eine mögliche! Der eine Thalhang ist dicht
mit Dörfchen besetzt, hat herrliche Kultm-en, Reben, Äcker, Baum-
wiesen, alles das infolge der anhaltenden Besonnung. Die Karto-
graphie hingegen mit ihrem Nordwestlicht stellt ihn in den kühlen
Schatten. Der andere Thalhang ist feucht, reich bewaldet, spärlich
besiedelt, denn er liegt fast immer im Schatten; die Karten mit
Nordwestlicht geben ihm die grellste Sonne. Wo der Schüler bei
seiner letzten Schulreise in der Sonne geschmachtet hat, ist auf
seiner Schulkarte dunkler Schatten und wo in schattigem Wald
an kühler Quelle gelagert wurde, brennt auf der Schulkarte die
Sonne. Wie schön haben wir aus dem Ballon den durch-
greifenden Unterschied von Nordseite und Südseite des grossen
Bhonethales überblickt. Wie durchschlagend, wie auffallend und wie
verständlich ist er durch die Besonnung! Eine ganz ähnliche
grosse, ebenso auffallende kulturell enorme Differenz wai* zu über-
sehen zwischen Nordseite und Südseite des Lemansee^s. Am
gegen die Sonne gekehrten Nordabhang verschmelzen die Dörfer
miteinander, zwischen den Beben ziehen zahlreiche Strassen durch,
alles ist belebt. Das schattige Südufer ist wenig bewohnt, waldig,
ohne Reben, arm an Verkehrswegen. Aber selbst die neue Schul-
wandkaiie der Schweiz stellt die Rebgelände des Waadtlandes in
tiefblauen kühlen Schatten und besonnt das einförmige waldige
savoyische Ufer. Sie besonnt den schattigen Creux du Ghamp, be-
schattet die sonnigen verbrannten Südabhänge des Haut de G17.
Sie besonnt die schattigen Terrassen an der Nordseite der Berge,
wo die Schneelinie viel tiefer liegt und der Schnee länger liegen
bleibt. Am Rigi, am Pilatus, überall kommt sie in den schroten
Gegensatz mit der Wirklichkeit. Es ist diese Nordwestbeleuchtung
— 61 —
in den EarteD ein Unsinn, der der Natur mit der Faust ins Ge-
sicht schlägt und jeden Zusammenhang von Besonnung mit Kultur,
Besiedelung, Bewaldung, Bewässerung, Schneestand etc., also mit
den grössten Interessen des Menschen, in unsem Karten nicht nur
unsichtbar macht, sondern auf den Kopf stellt.
Beim Zeichnen müsse man doch stets das Licht von links
oben nehmen, um arbeiten zu können, antwortet mir ein ver-
knöcherter Kartenzeichner. So drehe er doch die Karte beim
Zeichnen um! Warum soll Süden nicht oben und Osten links ge-
stellt sein können? Es ist ja wiederam nur eine zufällige ver-
steifte Gewohnheit, dass wir bei Landkarten Norden nach oben
legen. Hätte ich in einer Schule Geographieunterricht zu geben,
so würde ich die Wandkarte eine Woche lang mit Norden nach
oben, eine folgende Woche mit Osten nach oben, dann mit Süden,
mit Westen nach oben hängen, um diese ungeschickte Versteifung
zu vermeiden.
Wenn aber eine Karte mit Südostbeleuchtung gezeichnet sei
und dann an eine Wand gehängt werde, wo das LicBt von links
oben komme, »so erscheinen die Berge als Löcher*. Das ist nicht
wahr, wenn die Karte gut gezeichnet ist! Zudem helfen die Flüsse
stets dem Auge und der Vorstellung nach, um auch auf den
ersten Blick niemals Thäler und Gräte zu verwechseln. Sodann
habe ich noch nie bemerkt und noch nie klagen hören, dass bei
einer Karte mit NW-Beleuchtung an eine Wand mit Licht von
rechts gehängt, die Berge als Löcher erscheinen, und doch müsste
das ebenso gut der Fall sein — und diese Stellung kommt oft
genug vor. Für eine Karte, weil sie eine Ebene ist, hat es über-
haupt sehr wenig Einfluss, von welcher Seite die Beleuchtung
komme. Sind nur die Berge gut gezeichnet, so erscheinen sie als
Berge mit dem natürlichen Süd- oder Südost- oder Südwestlicht,
so gut wie mit dem erlogenen Nordwestlicht. Darin liegt keine
Schwierigkeit.
Die Karte der Tödigruppe in 1 : 50000 von Henn R. Leu-
zinger gestochen für Jahrgang 1 des Jahrbuches vom Schweizer
— 62 —
Alpenklub (leider vergriflFen) ist meines Wissens bisher die erste
und einzige solche Hoch-Qebirgskarte mit Nordwestlicht. Auf
meine Verwendung hat die schweizerische geologische Kommission
zur reduzierten geologischen Karte der Schweiz in 1 : 500000 einen
Schattierton mit SE-Beleuchtung herstellen lassen. Ausserdem be-
stehen nur wenige kleine Versuche. Gerade für den Nordrand
der Alpen bewährte sich hier die SE-Beleuchtung um so besser,
als hier ähnlich wie im Jura die Mehrzahl der Berge gegen N sehr
steil abbrechen, gegen S flacheren Schichtrücken kehren.
Genug davon. Ich konstatiere, dass vom Ballon gesehen das
Verkehrte der NW-Beleuchtung unserer Karten durch den direkten
Vergleich der Natur mit der Karte, die ich in den Händen
hielt, wiederum sehr störend und auffällig entgegen getreten ist.
Möchten endlich die Kartographen dieses falsche Dogma über-
winden und das Ideal hochhalten: Dass die Karte die natürlichen
Beziehungen der darzustellenden Dinge möglichst verdeutlichen
soll. Die Natur ist unser höchster Lehrmeister. Mit der NW-
Beleuchtung für Karten auf der Nordhalbkugel haben wir sie
verlassen !
Von ergreifender Grossartigkeit war aber der Anblick der
Alpen, als wir nicht mehr senkrecht über ihren Gräten, sondern
weiter nördlich entfernt in annähernd 6000 m Meerhöhe etwa
über Moudon standen und von da weiter nordwestlich trieben.
Freilich klebten eine Menge von Cumuli an den Gräten und
Gipfeln und über der Ostschweiz lag bis 1400 m Nebelmeer. Über
uns war der wolkenlose schwarzblaue Himmel, kaum ein Cirrhus
trübte ihn. Nun erschienen die Alpen als ein enormer, zusam-
menhängender mehrfacher Wall vom Säntis bis ins westliche
Savoyen; wie eine ungeheure brandende See schienen sie in mehr-
fachen, schäumenden Wellenkämmen uns entgegen zu kommen.
Wii* sahen sie nun nicht mehr von oben, was sie verkleinert
hätte, sondern mehr in einem Gesamtaufriss. Die Formen waren
üeilich zu klein, zu entfernt, um sie photographisch festzuhalten.
Als letzter im Osten erhob sich recht selbstständig der Säntis aus
— 63 —
dem Nebelmeer. Mit Fernrohr hätten sie uns gewiss von dort
sehen können! Mythen, Bigi schauten als Inseln aus dem Nebel-
meer hervor, das gerade bis Bigikaltbad reichte. Mürtschenstock,
Qlämisch, Tödi, Windgällen, ürirotstock, Titlis, alle die lieben
Bekannten waren leicht zu erkennen. Dagegen mehrten sich die
kleinen Ballwolken gegen das Bemeroberland hin. Das eine Mal
war die Haslijungfrau frei; dann guckte das Finsteraarhorn nadel*
förmig zwischen den weissen Nebelballen heraus. Ich unterschied
deutlich Aletschhorn, Eiger, Jungfrau, Qspaltenhorn, Blümlisalphom,
Alteis. Vor den Berneroberländern zwischen Stockhorn und Niesen
sah man in ein schattiges blaues Loch, den Thunersee, hinab.
Dann dahmter und weiter rechts erkannte ich die Mischabel, Monte
Bosa, Weisshorn, Grand Combin etc. Die genannten Walliser und
noch viele andere mehr schauten hoch über den Grat zwischen
Wildstrubel und Dent de Mordes hinaus und man sah deutlich,
welch gewaltige Thaltiefe und Thalbreite dazwischen liegt. Der
Montblancgipfel schaute niemals aus seiner Nebelhülle, aber seine
Lage und Form wai*en sehr deutlich durch die kleinen ihn um-
hüllenden und dicht anklebenden Ballwolken angegeben. Dagegen
ragte einmal die Aig. d'Argentiöre und die Aig. du G^ant hervor.
Die nördlicheren Savoyerberge waren fast wolkenfrei.
Zur gleichen Zeit überblickten wir die ganze westliche Hälfte
des schweizerischen Mittellandes. Das Nebelmeer des Ostens
endigte ungefähr auf der Linie von Neuchätel nach Bern. Nur
wenige vereinzelte kleine Nebelchen schwebten hie und da unter
uns. Eines davon hatte eine so scharf begrenzte eckige Gestalt,
dass ich bei dessen Anblick erst meinte, einer von uns hätte ein
weisses Taschentuch herunterfallen lassen. Das Land war zusam-
menhängend klar zu überblicken bis Lausanne, wo dann weiter
westlich abermals Nebelmeer folgte. Westlich von Genf ragte der
Jura über den Nebel hoch hinaus und der ganze Bogen des Jura
von seinem Verschmelzen mit den Savoyeralpen hinaus bis über
den Weissenstein war deutlich sichtbar. Auch für den Jura gilt
das gleiche wie für die Alpen: Seine Gestalt war viel deutlicher
— 64 —
aus der EntfeiDUDg in einer Art Aufriss gesehen als in der Nähe
von oben betrachtet.
Keinem von uns wird das Bild aus der Seele erlöschen, das
uns in einem Blicke die Alpenwand vom Sentis bis Salfeve, den
Jura und das zwischenliegende Molasseland mit Neuenburgersee,
Murtnersee, Thunersee, Genfersee schauen liess, am Horizont gegen
Norden weisses Nebelmeer, über uns blendende Sonne am schwarz-
blauen Himmel — wir selbst in stiller Kälte schwebend hoch über
allen Bergen und allen den blendenden Wolkengebilden. Hier
fühlten wir uns wie ausserhalb der Erde, hinabschauend auf ein
grosses, schönes, liebes Stück Erde — es war beim Geniessen wie
ein Traum, es ist uns in der Erinnerung wie ein schöner Traum
geblieben und doch, es war ja hen-liche Wahrheit!
Gegen den Neuenburgersee sinken wir etwas tiefer und sehen
deshalb um so schöner das Gewebe der Oi-tschafben, Strassen,
Felder, Reben, Baumwiesen am Nordufer des Sees. Sehr deutlich
erkennen wir die Dünen, welche am SW-Ende des Sees sich seit
der Juragewässerkorrektion auf dem trocken gelegten Strande
gebildet haben , die einzigen Dünen der Schweiz ! Unter uns
liegen die Felsklippen der Arpilles und die Windungen der Strasse
nach Ste. Croix.
Das Juragebirge, das wir überquerten, war zusammenhängend
zu überblicken. Es sah aus, wie eine Schar von kleinen Bunzeln
in der Erdrinde. Die Höhen waren gar nicht bemerkbar, die
Runzeln aber durch den streifenförmigen Wechsel von Wald, Fels,
Wiese deutlich gezeichnet. Alle die typischen Erscheinungen des
Jura, seine Längsthäler und Längskämme, Querklusen, Circus-
trichter waren wunderbar wie auf der besten Karte zu sehen, aber
auf einer gemalten Karte mit sehr wenig Reliefzeichnung. Die
Armut an Gewässern war auffallend im Gegensatz zum Molassen-
land. In den Furchen konnte man kaum Wasser sehen. Recht
deutlich war das vorherrschend nördliche Oberliegen der Ketten
und die Abstufung gegen Norden, d. h. die Einseitigkeit im Bau
des Jura zu überschauen. Ich wünschte in Gedanken Eduard Suess
.f.v
„ 'o. . £k:!mA^AÄ
— 65 —
zu uns. Das ganze Bild erinnerte mich an die Kunzelsysteme auf
der Oberfläche einer erstan-enden Lava oder an die Runzeln einer
durch Blasen verschobenen Haut auf heisser Milch, wobei der
Schub von Südosten gekommen und die Falten nach Nordwesten
schuppenförmig übereinander gestossen worden sind. Die grosse
horizontale Transversalverschiebung im Jura, welche von MoUens
bis über Pontarlier reicht und den Lac de Joux östlich absperrt,
war von der Höhe sehr auffällig. Sie sah aus, wie ein gi'osser
Schnitt durch alle Ketten und man konnte sehr gut erkennen, wie
die Längszonen an diesem Querschnitt abgescheert und verschoben
sind. Das Bild entsprach durchaus demjenigen, das eine geologische
Karte gibt. Eine gründliche Spezialuntersuchung über diese merk-
würdige Erscheinung könnte sehr wertvoll werden; sie fehlt uns
immer noch. Manche der gi'ossen tief greifenden Züge im Antlitz
der Erde sind vom Ballon aus überraschend klar zu übersehen,
während die kleineren Formen sich verlieren.
Die verschlungenen Wege des Doubs zeichneten sich zu-
sammenhängend. Besan9on war senkrecht unter uns. Dann aber
verloren sich bald mehr und mehr die Spuren der Längsstreifung
der Landschaft, wir waren über das Juragebirge hinaus gekommen.
Die Alpenmauer blieb noch lange hinter dem verschwindenden
Jura sichtbar. Schwarzwald und Vogesen waren niemals zu er-
kennen, dorthin lag alles in unbestimmtem Dunst, hingegen soll
man uns von dort gesehen haben. Der Oignon, silberglänzend,
schlängelt sich unter uns durch die Ebenen, aber unten wird es
immer dumpfer und dunstiger, man sieht fast nur noch die weissen
Linien der Strassen. Ich kann mich nicht erinnern, wo etwa wir
die Alpen aus dem Auge verloren haben, alles war wie in Dämmer-
licht gehüllt, als wir über Gray 6800 m erreichten. Dieses Däm-
merlicht war vielleicht nur subjektiv. Weiter gegen Nordwesten
standen unter uns die einzelnen blendenden kleinen Ballwolken alle
genau in gleichem Niveau, darüber war die Luft hell, darunter
dunstig bläulichweiss. Das Auge konnte Felder, Wiesen und
Wälder nur noch mit Mühe, die Photographie konnte sie gar nicht
5
— 68 -
3) Das Nebelmeer war am 3. Oktober 1898 als eine ebene
horizontale dünne Schicht kleiner Ballwolken entwickelt, welche
oflFenbar die Grenzregion zwischen der oberen Strömung aus SE
und der unteren aus NE bedeutete und in fast stiller Luft stille
stand. Über dem Nebelmeer war der Himmel vollständig klar,
und höhere Cirrhuswolken fehlten fast ganz, unter dem Nebelmeer
aber war ein feiner, glatter, bläulich-weisser Dunst, welcher mit
ziemlich scharfer Grenze nach oben gerade bis ins Niveau der
kleinen Nebelmeerwölkchen reichte. Die Nebelmeerschicht war
glücklicherweise sehr lückenhaft. Gerade über dem grössteu Teile
der westlichen Schweiz, wo wir fuhren, war sie blos angedeutet
durch vereinzelte kleine Wölklein, welche, von oben wie Baumwoll-
flocken aussehend, streng am oberen Bande der unteren trüberen
Luftschicht sich hielten, das Land war offen. So reichten die
blossen Andeutungen des Nebelmeeres ins Rhonethal bis Val
d'Illiez, aber nicht weiter hinauf. Man sah die obere Dunstgi'enze mit
einigen Wolkenflocken deutlich über Thuner- und Brienzersee. Über
Bern und im Jura, von Neuenburg an östlich, war die Nebelmeer-
schicht zusammenhängend, so dass Pilatus, Rigi, Mythen, Säntis
als Inseln daraus hervorragten. Dort im Osten stand ihre obere
Grenze zwischen 1400 und 1500 m (Rigikaltbad eben noch sicht-
bai*), gegen Westen und in die Alpenthäler hinein eher etwas höher
bei 1600 bis 1800 m. Die Dicke der Nebelmeerschicht nahe
ihrem Rande schien meistens nicht viel mehr als 50 bis 100 m
zu betragen, nur wo sie dicht zusammenhängend war, wie z. B.
wo wir sie beim Abstieg durchfahren haben, mag sie über 200 m
erreicht haben. Nirgends mischten sich die vorher besprochenen
Alpenwolken mit den Gebilden des lückenhaften Nebelmeeres. Die
ersteren lagen höher und nur vom Diableretkamme an südlich, die
letzteren tiefer und von den Alpen an nördlich. Die ersteren
schmiegten sich der Gebirgsoberfläche an, die letzteren waren in
ein ebenes Niveau geordnet, welches ganz unabhängig von der Ge-
staltung und der Beschafl'enheit des Untergrundes blieb. Kaum
war hie und da ein zwischenliegendes Wölklein zu sehen, dessen
- 69 —
Zugehörigkeit zur einen oder anderen dieser Kategorien zweifelhaft
gewesen wäre. In der Form des einzelnen Wölkchens war aber
kein Unterschied zu sehen, er lag nur in der Gruppierung und
Stellung. Das ganze Gebilde des Nebelmeeres erschien dem Auge
als eine unermessliche Ebene, etwa als ob eine etwas trabe Glasplatte
mit Baum wollflocken überstreut zwischen den tieferen und höheren
Luftschichten im Niveau von 1600 bis 1800 m stünde. Senkrecht •
hinab gesehen war die Trübung durch die untere Luftschicht wenig
bemerkbar, wohl aber bildete sie für die schiefe oder flache Blick-
richtung einen Schleier über der Erdobei-fläche. Die photo-
gi'aphischen Aufnahmen wurden durch den letzteren sehr stark
beeinträchtigt. Die Nebelmeerschicht in dieser Gestaltung ist
wohl bei sonst guter Witterung eine bezeichnende Herbsterscheinung.
Sie trug nicht wenig dazu bei, im Beschauer das Gefühl zu er-
wecken, dass er abgeschlossen von der Erde, ausserhalb derselben
in einer andern Welt schwebe.
Dass über der Nebelmeerschicht SE-Wind, darunter NE
wehte, ferner dass sie da, wo wir sie beim Abstieg durchfielen,
sehr dick grau und dunkel uns vorkam, haben wir schon hervor-
gehoben. Auch an dieser Stelle betone ich nochmals die am
Schlüsse des vorigen Kapitels schon beschriebene Thatsache, dass
sich gar keine Beziehung von der Bodengestalt zu den Lücken
und Rissen im lückenhaften Nebelmeer erkennen Hess. Während
unserer ganzen Fahrt schlug nie der Laut eines Vogels an unser
Ohr. Über dem Nebelmeer als Hintergrund hätten wir z. B.
fliegende Raben sehr gut sehen sollen. Ich habe darauf geachtet,
aber nichts entdeckt. Die Vögel halten sich alle dem Boden nahe
und nur im Gebirge über Thälern gelangen sie gelegentlich in
grosse Höhen. Die Luftschichten über dem tiefen Lande scheinen
schon in 2000 m Höhe ohne jeden belebten Bewohner zu sein,
auf 6000 bis 7000 m über dem Tieflande steigt nie ein Vogel.
4) Gegen Osten hoch über den Alpen und ebenso gegen
Norden und Westen in unbekannter Entfernung standen am sonst
dunkel schwarzblauen Himmel einige trübe verschwommene weiss-
— 70 —
liehe Streifen. Man muss sie wohl zu den Cirrho-Stratus -Wolken
stellen. Sie bildeten glatte, nicht gescbäfelte Fedem, sie waren
also auch nicht als Niveaux eines Windrichtungswechsels zu deuten.
Unsere Fahrt brachte uns nicht in Verbindung mit diesen oberen
Wolken. Der Himmel senkrecht über uns war auf der ganzen
Länge unserer Fahrt wolkenfrei. Niemals traf uns ein Schatten,
• selbst nicht eine Lichtschwächung durch einen Cin-hus. Wie hoch
jene Cirrho-Stratus-Wolken waren, ob höher als die Kulmination
unserer Fahrt oder nicht, konnten wir nicht beurteilen.
Während dem Anstieg des Ballons über dem Thal der Liceme
gegen die Diablerets hinauf fiel der Schatten des Ballons mehrere Male,
so 11 Uhr 27 Minuten und 11 Uhr 30 Minuten, aber leider immer
nur auf km'ze Augenblicke, auf die blendenden Ballwolken, es ent-
stand das Phänomen des Nebelbildes :^) der Schatten des Ballons
war umgeben von leuchtenden Farbenringen, deren Mittelpunkt der
Schatten des Auges des Beobachters ist. Nur einen Moment kamen
wir dem Nebel so nahe, dass jene überraschende perspektivische
Vertiefung des Schattens im Nebel zur Geltung gelangte. Ich sah
diesmal stets nur die innem Farbenringe, die dreifach dicht aneinander
sich eng anschmiegten. Den meist farbenstärkeren grösseren Bing
habe ich aus dem Ballon niemals gesehen, ohne Zweifel nur des-
halb nicht, weil die einzelnen Nebelballen, auf welche dieser
Schatten fiel, dazu zu klein waren. Die sichtbaren innem Binge
waren ziemlich stark farbig ; rot, gelb, grün, blau waren deutlich
zu erkennen. Nach meinen sofort niedergeschriebenen Notizen
hatten diese inneren drei Ringe die. umgekehrte Farbenreihenfolge
wie der Begenbogen und wie der dem Begenbogen völlig analog
entstehende äussere grosse Farbenring der Nebelbilder, nämlich
von innen nach aussen: rot, gelb, grün, blau; rot, gelb, grün.
I) Es dürfte angesichts der in vielen Büchern nicht nnr nnvoU-
kommenen, sondern vielfach ganz falschen Darstellungen über das Phänomen
des Nebelhildes am Platze sein, bei dieser Gelegenheit auf meinen bezüglichen
Aufsatz hinzuweisen: Alb. Heim, „Über Nebelbilder,'' Jahrbuch des Schweiz.
Alpen-Club, Bd. XIV, 1879.
— 71 —
blaii; rot, gelb, grün, blau. Frühere Beobachter (Bouguet, Kämtz etc.)
und ich selbst (Jahrbuch des Schweiz. Alpenclub, Bd. XVI, 1881),
sowie Prof. Dr. E. Bosshard (Jahrbuch des Schweiz. Alpenclub,
Bd. XXIV) berichten, dass wir rot aussen, grünlich bis violett
innen gesehen hätten. Sollte ich mich beim Niederschreiben im
Ballon gein-t haben? Die Farbenreihenfolge der inneren Ringe ist
jedenfalls noch durch weitere Beobachtungen zu prüfen. Als wir
erst gegen Abend über die zusammenhängenden Nebelmeerflächen
kamen, da stand die Sonne schon zu tief, so dass unser Schatten
nicht mehr in genügend steilem Winkel auf die Nebelfläche fiel.
Einzig unmittelbar vor dem Eintritt in das Nebelmeer beim Ab-
stieg erschien noch für einen kurzen Augenblick ein Nebelbild mit
ganz blassen Lichtringen. Die Versuche, die Nebelbilder zu photo-
graphieren, sind leider missglückt.
Der Ballonschatten war auch auf anderm Grund als weissem
Nebel merkwürdig. Wenn wir nur 2000 bis 3000 m über dem Boden
standen, sahen wir ihn durch Wiesen und Wälder und über Seen
ziehen. Er erschien stets verschwommen umrandet und nicht nur
dunkler als die Umgebung, sondern auffallend deutlich orangebraun.
Wenn er durch die Wälder ging, sah er oft wie ein goldbronzener
Tropfen oder Flecken aus. Die braungelbe Eigenfarbe des Ballons
kann daran nicht Schuld sein, denn der Ballonschatten auf der
weissen Wolke war rein neutralgrau. Der Ballon ist auch viel zu
undurchsichtig, um im Schatten Eigenfarbe zur Geltung zu bringen,
und ich habe einmal, da ich nicht mitfuhr, deutlich sehen können,
dass, von einem anderen Standpunkte aus betrachtet, der Ballon-
schatten grade so bläulich ist, wie jeder andere Schatten in der
Landschaft. Aber nur der eigene Schatten auf der Erde unten
sieht aus Ballonhöhe gelbbraun aus, die Schatten anderer Gegen-
stände erscheinen auch mehr blau als die besonnten Stellen. Wenn
wir vom Ballon aus den eigenen Schatten betrachten, so fällt unsere
ganze Blicklinie Mos in beschattete Luft und zwischen uns und
unserm Schatten liegt gar keine beleuchtete und somit keine durch
Beleuchtung blau reflektierende, einen blauen Schleier bildende
— 72 —
Luft. Blicken wir dagegen vom Ballon aus seitlicher neben
unsern Schatten, so liegt zwischen dem dort gesehenen Bodenstück
und unserm Auge eine Schicht beleuchtete Luft, die wegen ihrer
Beleuchtung als blauer Schleier, als , blaue Ferne'* wirkt. Die be-
sonnten Stellen erhalten für unser Auge überdies das durchfallende
Sonoenlicht, welches das Blau etwas neutralisiert, die schattigen
Stellen erscheinen um so tiefer kobaltblau. Der Ballonschatten
vom Ballon gesehen erscheint bräunlich, das heisst dunkel und
orangegelb dazu, weil er für unser Auge gewissermassen ein Loch
in dem sonst den ganzen Erdboden bedeckenden blauen Schleier
darstellt. Die Kontrastfarbe für das fehlende Blau ist orange.
Die gleichen Erscheinungen habe ich übrigens schon oft von Berg-
gipfeln beobachtet.^) Der Kern des eigenen Schattens erscheint
mit einer leichten dunkelgelben oder braunen Abtönung, die Schatten
nebenliegender Bergzacken hingegen sind kobaltblau. Wenn ich
aber nur auf dem Erdboden stehend die Farbe des Schattens
meines eigenen Kopfes mit der Farbe eines andern Schattens ver-
glich, konnte ich keine Differenz finden; offenbar ist eben die Luft-
schicht zwischen meinem Auge und dem beschatteten Boden zu
wenig mächtig, um schon farbgebend zu wirken. Das aber ist
immer deutlich: der Schatten, in welchem wir selbst stehen, sieht
für uns nicht bläulich aus, eher bräunlich, der Schatten aber, den
wir durch beleuchtete Luft von ferne sehen, erscheint blau. Je
höher der Ballon steht, je kleiner sein Schatten erscheint, desto
deutlicher wird dessen gelbliche Abtönung. Allein dies geht nur
bis zu einer gewissen Grenze, denn die Sonne ist kein Punkt. Bei
sehr gi'osser Höhe des Ballons wird von der Erde gesehen der
Ballon kleiner als die Sonnenscheibe, so dass gar kein voller Kem-
schatten mehr die Erde trifft. Dann sieht man vom Ballon aus
den eigenen Schatten nicht mehr. Ich habe den Schatten der
Wega bei 4000 m Erhebung über dem Boden nie mehr finden
können.
*) Verglichen ferner: F. A. Forel, „l'ombre du Ghamossaire**. Echo
des Alpes, de Geneve. 1885, Nr. 4.
— 73 —
In Höhen von über 5000 m war die bleiche Färbung unserer
nächsten Umgebung, das heisst des Luftschiffes und seiner Passa-
giere sehr auffallend. Die gi-ellen Sonnenstrahlen gössen kein
warmfarbiges Gold, sondern weisses Licht über uns aus. Die
Schatten waren düster schwarz. Die Gesichter erschienen dadurch
faltig gealtert. Ich beachtete die ungewöhnliche Dunkelheit der
Schatten jedesmal, wenn ich in der schattigen Tiefe der Gondel
etwas zu suchen oder zu hantieren hatte. Dennoch litten wir nicht
durch Blendung. Die grössere Differenz von Licht und Schatten
hier oben ist eine notwendige Folge der Zunahme der direkten
Strahlung und der gleichzeitigen Abnahme des diffus in der At-
mosphäre reflektierten Himraelslichtes. Auf Bergen ist sie schon
von 3000 m Meerhöhe an deutlich bemerkbar, hier im Ballon war
sie noch viel auffallender.
Bei einem raschen Blick über das Land zu unseren Füssen
und dann an den Horizont hinaus empfand das Auge da eine vor-
herrschend bläulich -violette, dort eine hellgelbe Tönung; die
blau-violette Färbung der Landschaft unter uns war erst bei Höhen
über 5000 m deutlich. Sie rührt bekanntlich davon her, dass für
unser Auge, wenn es ausserhalb des gi-össeren Teiles der irdischen
Atmosphäre steht, das durch die Atmosphäre durchgefallene und
das von ihr reflektierte Licht sich wieder mischt. Allein die
Mischung ergiebt nicht weiss, sondern es ist beim Durchgang der
Lichtstrahlen durch die Luft etwas gelb absorbiert worden, wodmxh
in der annähernd weissen Mischung das Violett etwas herausklingt.
So muss ja die Erde vom Monde gesehen blass- violett erscheinen.
Ich muss aber gestehen, dass ich diese violette Tönung diesmal
bei der Wegafahrt, trotz der grösseren Höhe und dem hellen
Sonnenschein, weniger deutlich gesehen habe, als bei einer frühern
Ballonfahrt aus 3300 m und nicht stärker, als von hohen Berg-
gipfeln. Wahrscheinlich schwächte der feine Dunst der unteren
Luftschichten die Erscheinung ab. Ich hatte sogar etwelche Zweifel,
ob diesmal die violette Tönung vielleicht nur Kontrastwirkung
gegen den gelb glänzenden Horizont war.
— 74 —
Wenn man von freiem hohem Aussichtspunkt Schneeberge
sieht, welche über 100 km entfernt liegen, so erscheinen sie
deutlich gelblich. In diesem Falle wh*ken die weissen Flächen als
Lichtquellen hinter dicker Atmosphärenschicht und die Atmosphäre,
die im durchfallenden Licht gelbrot wirkt (im reflektierten blau)
ist für unser Auge wie eine gelbe Glasscheibe vor dem fernen
Schneeberge. Diese gleiche gelbe Absorptions-Färbung entfernter,
leuchtender Flächen machte sich vom Ballon aus nicht nur an den
Schneeflächen der Berge vom Glärnisch bis in die Walliseralpen
schwach bemerkbar, viel auflallender war ein völliges Leuchten der
fernen an sich blendend weissen Nebelflächen fast rings um den
Horizont herum in glänzend metallisch hellgelber Färbung. Es
war nicht etwa Abendgelb oder Abendi'ot an Wolkenstreifen. Es
war Mittagszeit und hoher Sonnenstand. Je höher wir standen, desto
auffallender und breiter wurde der gelbe Horizontring. Das Nebelmeer
unter uns, das in geringerer Entfernung schneeweiss war, erschien
gegen den Horizont hin in unabsehbarer Entfernung ganz aUmälich
immer deutlicher gelb und verschwomm am Horizont in blendend
gelben ebenen Streifen. Von SW über West, Nord bis Osten hinaus
war an keiner Stelle ein fester Horizont zu sehen, vielmehr umgab
gelb leuchtendes Nebelmeer fast wie ein spiegelnder Metalliing
alles was wir von der Erde sahen bis zum Anschluss an die wolkig
besetzte Alpenwand. Dass im Nebelmeerhorizonte die Oelbßlrbung
stärker war als an den Alpen, ist der weiteren Luftlinie dorthin
und der tieferen dichteren darüber lageiiiden Atmosphärenschicht
zuzuschreiben.
Einen fesselnden Gegensatz zum gelben unabsehbaren Nebel-
horizontring bildeten die Seen. In unaussprechlich reinem duftendem
Blau lag tief unten, wie versenkt, der herrliche Leman. Ich er-
innere mich nicht, jemals die Seenfarbe so rein und schön saphirblau
oder Hauynblau gesehen zu haben. Schon aus der Entfernung, da
wir 11 Uhr 30 Minuten den See noch gar nicht direkt sahen, er-
schien in seiner Richtung jenseits unter den Diablerets ein Lnft-
kessel voll tiefer Blaufärbung. Da war es eine Mischung von
— 75 —
Preussischblau und Kobaltblau. Auch der Neuenburgersee hatte
eine prachtvolle, aber merklich grünlichere Farbe. Den Lac de
Joux sahen wir gegen die Sonne, so dass er mehr nur Himmels-
farbe stahlgrau spiegelte, nicht Eigenfarbe zur Geltung brachte.
Oft blickte ich neben der über uns schwebenden Ballonkugel
möglichst steil hinauf an den Himmel. Er sah sehr düster, fast
schwarz aus. Gegen den Zenit hin war nur noch wenig blau zu
sehen. Mich erinnerte die Farbe an diejenige des schwarzen
Meeres. Die Luft ist es ja, die das Himmelsblau giebt, sie ist
ein blauer Schleier vor dem an sich nicht leuchtenden Hiramels-
raume und wir hatten bei 6000 m den weitaus grössten Teil Luft
nun nicht mehr über, sondern unter uns. Das schwarze Himmels-
gewölbe stand über uns, die himmelblaue Lichttönung mit einem
Stich ins Violette unter uns. Auf Bergen von 2000 bis 3000 m
Meerhöhe habe ich immer noch das Himmelsblau bewundert. Bei
6000 m trat aber die Bläuung schon so sehr zurück, dass der
Himmel keinen lachenden freundlichen, nicht einmal mehr einen
erhabenen, sondern eher einen unangenehm düsteren Eindruck
machte und gar nicht mehr den Bhck auf sich fesselte.
Sterne konnten wir aber trotz der geringen Kraft des blauen
Schleiers über ims nicht sehen — da mag die Blendung mitge-
wirkt haben. Durch ein langes Kartonrohr hätte man vielleicht
am Tage Sterne sehen können. Dies war nicht vorbereitet.
Das „Himmelsblau** trat mir wieder in seiner unver-
wüstlichen Nuance so recht deutlich vor die Augen und bestärkte
mich wiederum in alten Anschauungen, so abweichend dieselben
von den Theorien der Physiker sein mögen. Es ist eine im
Farbton — also wohl in der Wellenlänge — unveränderliche
Tönung. Ob wir es nui* schwach vor dunkelm Himmelsraum als das
Schwarzblau des Höhenhimmels sehen, ob wir, im Tiefland stehend,
es vom herrlichen leuchtenden Blau im Zenit verfolgen bis zum
Weissblau und Weiss des Horizontes, ob wir es sehen als blaue
Tönung ferner Berge, feiner Schatten im Erdschatten nach Sonnen-
untergang oder wie sonst noch, es ist stets ein und dieselbe
— 76 —
Farbe, nur verschieden nach Mischung mit weiss oder schwarz,
oder mit andern Farben, aber an sich bleibt es eine unveränder-
liche Komponente, die in ihrer Eigenfarbe niemals schwankt.
Das auf Landschaftsfarben geübte Auge findet sie immer wieder
in ihrer unabänderlichen Treue heraus. Sie wird wirksamer wo
dichte und mächtige Luftschichten zur Geltung gelangen, sie wird
schwächer wo dünnere Luftmassen vor uns liegen, sie kann mit
Abendrot zu violett, mit Abendgelb zu grün sich mischen, aber
sie selbst ändert ihre Wellenlänge nicht. Nicht das Eümmelsblau
ist himmelsviolet oder himmelsgrün geworden, es ist himmelblau
geblieben und war mit Absoi-ptionsfarben gemischt. Gleich daneben,
sobald die Erscheinung sich verschiebt, schält es sich wieder als
die unveränderliche Komponente heraus, während die andern wechsel-
voll auftreten. Ob die Luft bloss 107o oder 957o Feuchtigkeit
habe, das wirkliche Himmelblau ist ganz das Gleiche. Ob wir es
im Winde von staubiger Wüste, ob wir über dem Ozean, ob wir
aus dem Ballon beobachten — wir finden immer ein gleiches
Himmelblau, das stets dii-ekt proportional der Luftmasse und der
Intensität der auffallenden Beleuchtung zum Vorschein kommt und
überall das gleiche ist. Wohl kann es an Stärke wechseln und
sich mit enorm verschiedenen andern Farben kombinieren oder
durch trübe Medien mehr oder weniger gedeckt werden, aber das
farbengeübte Auge findet es stets als ein altbekannter Faktor im
Landschaftsbilde heraus. Es zieht sich durch alles hindurch, in
der Wirkung sehr verschieden, in der Sache sehr unveränderlich,
etwa erinnernd an eine bestimmte mathematisch-physikalische Grösse,
die in einer Menge verschiedener Formeln immer wieder enthalten
ist. Wer viel nach der Natur gemalt hat, wird das am deut-
lichsten fühlen und bei den Farbmischungen erfahren haben.
Und nun sollte dieses Himmelsblau auf Nebelbläschen, auf
feinsten Fremdkörperchen etc. beruhen, wie die verschiedenen
Theorien der Physiker lauten. Unmöglich, sagt mir mein Farben-
sinn und meine Farbenbeobachtung! Dann könnte niemals
das Himmelsblau eine so konstante Farbenkomponente
— 77 —
sein. Dann musste es je nach Feuchtigkeitsgehalt, Staubgehalt,
Grösse der Premdkörperchen etc. in der Parbentönung, in der
Wellenlänge wechseln, es müsste selbst schwanken von Purpur zu
blaugrün. Und wenn es gar bloss subjektiv wäre, wie auch schon
behauptet worden ist, dann könnte es sich erst recht im Land-
schaftsbilde nicht so verhalten, wie es der Pall ist, dann wäre z. B.
der Übergang zum dunkeln Blau bei Erhebung in höhere Luft-
schichten, die Veränderung der Schattenfarbe mit der Höhe, etc. unbe-
greiflich. Vielmehr scheint mir der Schluss aus den Beobachtungen
über das Himmelsblau im Landschaftsbilde vollständig unumstösslich
zu sein: Das Himmelsblau muss der Atmosphäre als
solcher selbst angehören. Nur wenn die optisch reine Atmo-
sphäre sein Träger ist, können die Wirkungen so werden, wie wir
sie im Landschaftsbilde beobachten.
Absorptionsfarben, wie z. B. die Farbe des Wassers, erscheinen
ähnlich im auffallenden wie im durchfallenden Lichte. Die Luft
erscheint in dicken Schichten im auffallenden Lichte himmelblau,
im durchfallenden dagegen orangegelb und die beiden Farben sind
nicht genau komplementär. Mir scheint, wir sind gezwungen, eine
dii'ekte Reflexion himmelblauer Strahlen durch die Moleküle der Luft
anzunehmen. Wir kennen ja in der Fluorescenz Erscheinungen
dieser Art. Ist denn nicht das Himmelsblau eine Fluorescenz-
erscheinung? Diese Annahme einzig scheint mir mit keiner mir
bekannten Farberscheinung der Atmosphäre im Widerspruche zu
sein. An Flüssigkeiten, z. B. Petroleum und durchsichtigen festen
Körpern kennen wir ja ganz Ähnliches. Wenn wir andere Gase in
solch dicken Schichten wie die Luft beobachten könnten, würden
vielleicht noch viele davon Fluorescenz beobachten lassen. Alle
charakteristischen Erscheinungen der Fluorescenz sind vorhanden:
Im durchfallenden Lichte ist die staubfreie Atmosphäre klar und
durchsichtig (Sehen von Mond und Sternen bei Nacht). Sie gibt
dann nur etwas Absorptionsorange. Bei starker Beleuchtung aber
zeigt sie vor relativ dunklem Hintergrund diffuses Selbstleuchten in
blauer Eigenfarbe, und erscheint dabei dann als optisch trüber
— 78 —
Schleier, die Sterne am Tage verdeckend. Wäre der blaue ScMeier
nach Art trüber Medien durch Fremdkörper bedingt, so müsste die
Trübung auch im rein dm'chfallenden Lichte bemerkbar sein; sie
kommt aber in der Atmosphäre nur beim diffus reflektierten Lichte,
nicht beim durchfallenden zur Erscheinung.
Gewiss wird ein Anderer mit gründlicheren physikalisch-
optischen Kenntnissen die Frage beurteilen, aber mir scheint, dass
das, was uns ein geübter Fai'benblick lehrt, auch in der Theorie
der Himmelsfarbe seine Berücksichtigung verdient.
Immer und immer tritt uns der stolze Anblick wieder vor
die Seele, da wir mit einem Male Leman und Neuenburgersee,
Alpen und Jura, schweizerisches Mittelland und ein grosses Stück
von Frankreich, umgeben von dem weissgelben Wolkenkranze,
überschauen konnten, schwebend still und hoch über der Erde,
besti'ahlt von weissem Sonnenschein, überwölbt von einem schwarzen
Himmel.
6. Nach dem Abstieg.
Bald liefen in Menge die Bewohner des Bauerndorfes Riviäre
herbei. Den beiden Herren PfaiTern stellten wir uns sofort vor.
Der eine derselben, Herr Abb^ J. Missler, cur6 de Boussenois,
der vortrefflich deutsch sprach, nahm ein grosses Interesse an
unserer Fahrt. Wir erfuhren, dass wir beim Dorfe Riviöre, Canton
Prauthoy, Arrondissement Langre, Departement Haute-Mame, fast
auf der Grenze gegen das Departement Cöte d'Or gelandet waren.
Der eine der Herren Pfarrer rief uns aus den herzulaufenden einen
Bewohner von Vaux heraus, der sich bereit erklärte, die Depeschen,
die ich sofort schrieb, wo möglich noch vor Bureauschluss nach
dem 7 km entfernten Vaux zu bringen. Von Vaux mussten sie
mit Bahnzug durch einen Angestellten nach Prautlioy gebracht
und erst dort konnten sie aufgegeben werden. Dann ginge
ans Auspacken der Gondel, Demontieren und Einpacken des
Ballons. Die Arbeit war nicht gering und beim schwachen Latemen-
schein zum Teil schwierig. Die Bauern von Bivi^re halfen tapfer
— 79 —
und ausdauernd mit. Endlich, es war unterdessen dunkle Nacht
geworden, wurde hinter dem Wagen, der die schweren Lasten
fährte, ein Gänsemarsch derjenigen organisiert, welche je einen
der sorgfältig zu befördernden Gegenstände, wobei die Apparate
die Hauptrolle spielten, in der Hand trugen. Die Signalraketen,
die ganze bergtouristische Ausrüstung, welche wir für den Fall des
Hängenbleibens an einem hohen Grate mitgenommen hatten, die
Samariterausrüstung, Axt und Säge, um uns aus Bäumen zu lösen,
Papierschnitzel zum Erkennen des Unterwindes und noch manche
andere Vorsichtsmassregel, die wir getroffen hatten, war nicht be-
nutzt worden. Im Gasthaus Eiviere fand sich ein Zimmerchen, in
welchem wir alle unsere Sachen bis zum folgenden Tage in Ver-
wahrung bringen konnten. Allein Kaum zum Übernachten war für
uns vier vom Himmel gefallene Gäste nicht vorhanden. Also nach
Vaux! Die beiden Betten des „Grand Hotel de la Gare" in Vaux
waren von Geschäftsreisenden besetzt. Ein Nachtzug nach Prauthoy
Hess nicht lange auf sich warten. Nachts IV /i Uhr klopften wir
am Hotel in Prauthoy an. Wir wurden sehr freundlich empfangen,
gut bewirtet und endlich etwa 1 Uhr konnten wir uns zu Bette
legen. Am folgenden Morgen requirierten wir Kisten zum Ver-
packen und hatten uns vor dem Gemeindepräsidenten über unsere
Herkunft auszuweisen. Meine drei Gefährten fuhren mit dem Ver-
packungsmaterial nach Riviere zurück, während ich dem Telegraphen-
bureau Prauthoy schwere Arbeit verursachte. Nach 2 Uhr verliessen
wir den Ort und erreichten nachts spät Basel. Es gereicht uns zur
Freude, besonders hervorzuheben, dass in Frankreich die Land-
bevölkerung wie ihre Priester, Telegraphenbeamten, Geraeindevor-
stände. Bahnhofangestellte etc. etc. alle uns mit der grössten Be-
reitwilligkeit und Dienstfertigkeit unterstützten, so dass wir denen,
die uns empfiengen, ähnlich wie denen, welche wir in Sitten zu-
rückgelassen haben, das beste Andenken bewahren werden.
In Sitten war nach dem Aufstieg, wie mir die Telegraphistin
Fräulein J. C^sar berichtet, das Telegraphenbm-eau den ganzen
— 80 —
Tag belagert von vielen Personen, welche Nachrichten über den
Weg des Ballons zu erhalten hoiften. Um Mittagszeit traf dort
eine Depesche aus Montreux ein, welche meldete, dass die Wega
über die Diablerets gekommen sei und gegen Nordwest gehe. Um
zwei Uhr kam Bericht aus Tverdon, der Ballon gehe gegen Ste.
Croix, um drei Uhr, dass er hinter dem Mont Suchet gegen Frank-
reich verschwunden sei. Dann waren keine Nachrichten mehr er-
hältlich. Gegen Abend steigerte sich die Nachfrage am Tele-
graphenbureau von Sitten zur angsterfüllten Ungeduld. Erst nach
10 Uhr kam die Depesche aus Prauthoy in Sitten an. Dieselbe
wurde sofort dem Herrn Stadtpräsidenten übermittelt und auf
dessen Anordnung hallte gegen 11 nachts der Kanonendonner durch
das Thal, um den Bewohnern von Sitten und Umgebung unsere
glückliche Landung zu melden. In Zürich zurück fanden wir eine
Glückwunschdepesche des Präsidenten der Munizipalität Namens
der Stadt Sitten.
In unserem Beobachtungsprogi*amme lag die Aufnahme einer
möglichst grossen Zahl von Photographien aus der Höhe. Dieser
Programmpunkt fand keine vollständig befriedigende Lösung. Es
zeigten sich allerlei Schwierigkeiten. Unsere photographische Aus-
rüstung hatte in 5 Wechsel- Apparaten von Herrn Optiker E. Suter
in Basel bestanden, wovon 4 von ihm uns gütigst geliehen worden
waren. Jeder Apparat war mit je 20 Lumiöre-Platt^n montiert
worden. Herr Suter hatte nach seinen eigenen Versuchen bei Ge-
legenheit einer Ballonfahrt die Expositionszeit und die Blenden fix
gestellt, Herr Prof. Dr. Barbieri hatte uns noch eingehender
instruiert und die Entwicklung der Platten freundlichst über-
nommen. Ausserdem brachte Herr Dr. Biedermann noch einen
Kodackapparat mit Films geladen mit. Die Aufnahmen mit den
Suter'schen Apparaten während der Fahrt besorgte ausschliesslich
Spelterini.
Die mitgenommenen Apparate erwiesen sich gut, die Platten
aber unrein, voll kleiner Pünktchen. Sodann wurden alle diejenigen
Bilder ganz unscharf, welche nach fallendem Ballongang exponiert
— 81 —
worden waren, weil beim Übergang aus kälterer, trockener in
wärmere, feuchtere Luft die Objektive sieb vorweg immer wieder
mit Feuchtigkeit beschlugen. Eine weitere Schwierigkeit ergab
sich daraus, dass für gewisse Fälle die Stellung von Blenden und
Exposition nicht passte, für den Durchschnitt war sie ganz gut.
Sodann hatten wir bei einer Fahrgeschwindigkeit von 15 m und
mehr per Sekunde und aus freier Hand zu exponieren. Der ganze
physische Zustand des Menschen tritt als Faktor mit ein. Durch
den Aufschlag beim Abstieg sind 8 Platten zerschlagen. Im
ganzen hat Spelteiini mit den Suter'schen Apparaten 40 brauch-
bare Aufnahmen erhalten, Dr. Biedermann deren circa 30, die leider
aber meistens unscharf ausgefallen sind. Wir reproduzieren hier
einige der interessantesten Bilder von Spelterinis Auihahmen.
Der photographische Apparat von Herrn Cailletet, welcher
automatisch in regelmässigen Zeitabständen senkrecht nach unten
photographiert, war uns, zur Benutzung montiert von Herrn L.
Gaumont et Co., ßue St.-Roch 57 in Paris, gutigst zur Verfügung
gestellt worden. Indessen der Umstand, dass derselbe für uusern
Zweck die Zeitintervalle zu kurz gestellt hatte und zu wenig lange
funktionieren konnte einerseits, besonders aber die Überfüllung des
Fahrkorbes mit unentbehrlichen Gegenständen andererseits, die alles
Hantieren erschwerte, zwang uns diesmal auf die Mitwirkung des
ziemlich grossen und schweren Apparatenkastens zu verzichten.
G
IV.
Die meteorologischen Ergebnisse der wissenschaftlichen
Fahrt des Ballons „Wega" am 3. Oktober 1898
von
Dr. Jul. Maurer.
A. Die instrnmentelle AnsrAstang der „Wega^S Prttfang and
Leistungsfähigkeit der Instramente.
Als mir im Juli letzten Jahres durch Kapitän Spelterini und
Prof. Heim, Präsident der fui* die Ausführung einer wissenschaftlichen
Ballonfahrt über die Schweizeralpen bestellten vorberatenden Kom-
mission, die ehrende Einladung zu Teil wurde, persönlich als Be-
obachter an der Fahrt teilzunehmen, die erforderlichen Vorbe-
reitungen zu leiten, sowie auch späterhin für die Verarbeitung der
Resultate Sorge zu tragen, war über das allgemeine Beobachtungs-
progi'amm und die instrumentelle meteorologische Ausrüstung der
„Wega*^ in verschiedenen Beratungen der Fachkommission bereits
eingehend verhandelt worden. Überdies hatten die Herren Heim
und Spelterini zum Zwecke weiterer Informationen die Ende März
vorigen Jahres in Strassburg tagende erste Konferenz der inter-
nationalen aeronautischen Kommission besucht, deren vielseitiges
Progi'amm namentlich auch die rationelle Ausrüstung bemannter
Ballons behandelte, die für das anzuschaflfende meteorologische In-
ventar der „Wega** -Fahrt vorbildlich und selbstverständlich den
Beschlüssen der Konferenz auch bestmöglich angepasst wm*de.
Für die Vorbereitungen und das Arrangement des reichhaltigen
Observatoriums der „ Wega** erhielt ich im einzelnen völlig freie Hand;
das letztere sollte gestatten die wichtigeren meteorologischen Ele-
— 83 —
mente (Luftdruck, Temperatur und Feuchtigkeit) sowohl direkt ab-
zulesen, wie auch mittelst besonderer Begistrierinstrumente während
der Fahrt dauernd festzuhalten.
Für die Luftdruckbeobachtungen waren zwei registrierende
Aneroide vorgesehen, ferner ein Quecksilberbarometer von R. Fuess-
Berlin, das bei vertikaler Buhelage des Ballons abgelesen, zur Eon-
trolle bezw. Verifikation der Aneroidkorrektionen diente und von
der Direktion der Schweizerischen Meteorologischen Centralanstalt
dem Unternehmen bereitwillig zur Verfügung gestellt wurde; zur
einwurfsfreien Vornahme von Temperaturmessungen war mir über-
dies von unserem meteorologischen Institut das bekannte Assmann^sche
Aspirationsthermometer überlassen worden, das vorschriftsmässig
an einem ausserhalb des Ballonkorbes hinausragenden Gestänge
aufgehängt, mittels Fenirohr von der Gondel aus abgelesen wurde.
Behufs Registrierung der Lufttemperatur hatte sodann Herr Staatsrat
Dr. V. Wild die Güte, für uns bei Mechaniker Fuess in Berlin
einen neuen, auf dem Aspirationsprinzip beruhenden Thermographen
zu bestellen, bei dessen Konstruktion bereits früher gemachte Er-
fahrungen an ähnlichen für die Berliner Uraniasäulen und zu Fes-
selballon-Experimenten verwendeten Apparaten, mitbenutzt wurden.
Im registrierenden Teil entspricht das Insti'ument fast ganz dem
bekannten Richard-Thermographen, unterscheidet sich jedoch von
ihm nicht unwesentlich in der Ausführung des thermometrischen
Recipienten; die ringförmig gebogene, mit Alkohol gefüllte Bour-
donröhre von 4 cm Durchmesser (2 cm Breite und 12 cm Länge)
besitzt die Form eines nicht völlig geschlossenen Zylindermantels
mit vertikal gestellter Achse, ist in zwei ebenfalls zylindrische,
zum Hochglanz polierte vernickelte Messingrohre mit Zugkamin
eingeschlossen und wird an ihi*en beidseitigen Oberflächen — unter
bekannter Anwendung des Luftstrahlgebläses mit komprimiertem
Sauerstoff — von einem kräftigen und kontinuierlich aspirierten
Luftstrom umspült. Das auf 120 Atmosphären komprimierte
Sauerstofifgas wurde in besondern von dem Sauerstoff- und Was-
serstoffwerk Luzern bezogenen Stahlflaschen (von ca. 1000 1 Inhalt)
— 84 —
mitgeführt, welche Druekreduktionsventile besassen und gestatteten
den verdichteten Sauerstoff unter niedriger Pression bis zu 2 At-
mosphären ausströmen zu lassen. Diese Versuchsanordnung hat
sich auch füi- den kontinuierlichen Betrieb des gewöhnlichen Ass-
mann'schen Aspirationsthermometers (mit Laufwerk-Aspirator) auf
verschiedenen Fahrten des Münchener Luftschiflffahrtsvereins, nach
den Erfahrungen des Herrn Direktor Erk, vorzüglich bewährt, da
die Aspiration sehr gleichmässig wird, was bei der Ventilation
dui'ch ührwerksbetrieb nie so vollständig erreicht werden kann.
Zur Ermittlung der Luftfeuchtigkeit wurde an Stelle des
Ventilationspsychrometers, das namentlich bei tieferen Temperaturen
dem Beobachter gewisse Schwierigkeiten bereitet, die Angaben des
Haarhygrometers verwendet, das in zwei Exemplaren — einem von
Herrn Direktor Dr. Wild freundlichst überlassenen Richard'schen
Haarhygi'ographen und einem Konti-ollhygrometer von Usteri-
Reinacher — für die Hochfahrt der „Wega* zur Verfügung stand.
Thermogi'aph und Hygrograph waren auf Querstäben in einem ge-
räumigen, oben und unten völlig offenen, mit weissem Tuch aus-
geschlagenen Weidenkorb plaziert, der ausserhalb der Gondel
mittels einer Zugvorrichtung bequem und nach Belieben hochge-
zogen werden konnte.
Von den beiden mitgeführten registrierenden Aneroidbaro-
raetern war das eine Instrument von Hen-n Th. Usteri-Eeinacher,
dem Chef der renommierten vormaligen Goldschmid'schen Präzisions-
werkstätte, speziell für unsere „Wega" -Fahrt neu konstruiert und
zm- Verfügung gestellt worden; was die Ausführung im einzelnen
und die Leistungsfähigkeit im besondern anbetrifft, zeigte es sich
dem andern, als Reserve benutzten Richard^schen Modell entschieden
überlegen, nur machte sich anfangs bei der Erreichung grösserer
Höhen eine etwas merkliche Retardation der Uhr fühlbar, die aber
durch genaue Zeitmarken leicht berücksichtigt und unschädlich
gemacht werden konnte.
Der neue Usteri'sche Ballonbarograph registriert (bei sechs-
oder zwölfstündigem Tromraelumgang) auf einem Diagramm von
— 85 —
80 mm Breite und 290 mm Länge eine Druckvariation von rund
400 mm, besitzt demnach eine etwas stärkere, aber durchaus nicht
unbequeme Grösse (Dimensionen 2272 X 15 X 12 cm, Zeitabszisse
1 h = 24 mm bei zwölfstündiger Rotation, Ordinate 10 mm Baro-
meterstand = 2 mm im Diagranmi). Das Buchsensystem, dessen
unteres Ende auf einer massiven, messingenen Grundplatte aufliegt,
ist in ganz gleicher Weise, wie bei der einfachen Büchse des Ni-
vellierbarometers derselben Firma, durch eine starke Feder gespannt;
das freie, verlängerte Ende dieser Spannfeder trägt rechts eine
glasharte, verstellbare Cirkularschneide, die nahe dem Drehpunkt
auf den ausbalancierten Registrierhebel wirkt, welcher an seinem
längern (linken) Ende als Index die Kapillarfeder mit Tinte zur
Aufzeichnung der Luftdruckkurve trägt. Ein zuverlässiges Uhrwerk
mit Ankerechappement und siebentägiger Gangdauer besorgt die
gleichförmige Drehung der Trommel, die me beim Richard'schen
Modell abhebbar ist und durch leichtes Drehen nach links oder
rechts auf die richtige Zeit eingestellt werden kann.
Die genauere Untersuchung und Vergleichung dieses Registrier-
aneroids mit dem Quecksilberbarometer wurde im Atelier des
Herrn Usteri-Reinacher vorgenommen und hiebei — um einen
möglichst zusammenhängenden, den wirklichen Thatbeständen thun-
lichst entsprechenden Verlauf der Standkorrektionen zu erhalten —
das Registrierblatt nach der Falut abermals auf die Trommel ge-
spannt, unter dem Recipienten der Luftpumpe die vorgezeichnete
Fahrkurve des Registrieraneroids mit Erfolg wiederholt reproduziert
und bei den Vergleichungen, neben den korrespondierenden Ab-
lesungen an dem mit dem Recipienten-Reservoir kommunizierenden
Vergleichsbarometer, die fünf bei vertikaler Ruhelage des Ballons
notierten Stände am Fuess'schen Quecksilberbarometer (tiefster
Stand 720 mm, höchster Punkt 327 mm) mitbenutzt. Da die ver-
schiedenen bei steigender und fallender Barographenkurve ange-
stellten Vergleichsserien mit dem Quecksilberbarometer zur Evidenz
zeigten, dass ein wirklich erheblicher Unterschied in den beim
Auf- und Abstieg reproduzierten Korrektionswerten nicht besteht
— So-
und andererseits die einzelnen aui Aneroidbarographen abgeleseneu
Stände, im Hinblick auf die geringe Entwicklung des Diagramms,
die übrigens auch eine eingehendere Berücksichtigung des Tem-
peratureinflusses nicht gestattete, kaum auf den Millimeter sicher
sind, so durfte füglich davon Umgang genommen werden, sowohl
für den Auf- wie für den Abstieg, gesonderte mittlere Korrektionen
anzubringen ; es wui'den vielmehr die einzelnen Serienkurven zu
einer Mittelreihe vereinigt, welche für das von uns benutzte
Usteri'sche Instrument nachstehende Korrektionstafel lieferte, die
dann auch bei Keduktion der in später folgenden Tabelle gegebenen,
dem Barogi'aphen direkt entnommenen Luftdruckwerte ihre Ver-
wendung fand.
Stand
Korrektion
Stand
Korrektion
des Aneroids.
auf
des Aneroids.
auf
mm.
Quecksilberdmck.
mm.
Quecksilberdruck.
700
-2,0
480
-4,0
680
-3,4
460
3,6
660
-4,3
440
— 3,3
640
-4,7
420
-3,2
620
— 5,0
400
-3,4
600
5,0
390
3,9
580
— 5,0
380
-4,6
560
5,0
370
— 5,5
540
— 4,8
360
-6,4
520
-4,6
350
-7,3
500
-4,3
340
-8,4
480
-4,0
330
— 9,5
Es erübrigt endlich noch ein Wort mitzuteilen über die
Leistungsfähigkeit bezw. Empfindlichkeit der für die Temperatur-
messung bei der „Wega*-Fahrt mitgeführten Instrumente. Es ist
eine Erfahrungsthatsache, dass alle im Ballon beobachteten Tem-
peraturen sämtlich unter dem unvermeidlichen Zurückbleiben des
Thermometers hinter den Änderungen der Umgebungstemperatur
leiden; auch bei der besten Aspiration kann selbst das empfind-
lichste Thermometer die Temperatur der Luft nicht so schnell an-
nehmen, als der Ballon seine Höhe ändert. Ein ventiliertes Ther-
— 87 —
mometer, das im Ballon rasch durch verschieden temperierte
Luftschichten geführt wird, bedarf daher strenge genommen in
seinen Angaben immer noch einer Korrektion und die wertvollen,
theoretischen und experimentellen Untersuchungen von Direktor
Hergesell-Strassburg ,,über das Verhalten von Thermometern, ins-
besondere solchen, die schnell wechselnden Temperaturen ausge-
setzt sind* (Meteorologische Zeitschrift, XIV. Jahrgang) haben ge-
zeigt, dass diese Korrektion in kurzer geschlossener Foim bei
j TT
kleinen Dimensionen des Thermometerkörpers durch a rr- aus-
gedrückt wird; - - ist der zeitliche Differentialquotient der Tem-
peratur (U) des Mediums, die das Thermometer entweder direkt
durch Ablesung oder dann durch Registrierung liefert, während a
einen passend als „Trägheitskoefficient** des Thermometers bezeichne-
ten Proportionalitätsfaktor repräsentiert; es ist demnach die wahre
Temperatur <p des Mediums gegeben durch
Dieser jedem Thermometer eigentümliche Trägheitskoefficient
M c
a ist gleich dem Bruch ^, gebildet aus dem Wasserwert (Masse X
spezifische Wärme) des Thermometerkörpers und dessen äusserer
Wärmeleitfähigkeit h, berechnet für die ganze Oberfläche S. —
Das Korrektionsglied a -^— wird um so grösser ausfallen, je steiler
die Temperaturkurve verläuft, folglich ein Thermometer seine Auf-
gabe um so besser erfüllen, je kleiner sein Trägheitskoefficient a
ist. Da die zweite wichtige Grösse, welche in dem Ausdrucke des
Trägheitskoefficienten erscheint — die bekannte äussere Wärme-
leitfähigkeit h — in erster Linie eine Funktion der Aspiration und
der Luftdichte ist, so gilt dasselbe von jenem Trägheitskoefficienten a
und es ist für die Ballonmeteorologie selbstverständlich eine ausser-
ordentlich bedeutungsvolle, wenn auch experimentell recht schwierig
zu entscheidende Frage, wie dieser Trägheitskoefficient bei ventilierten
- 88 —
ThermometerD sich ändert, wenn die physikalische Konstitution
des umgebenden aspirierenden Mediums variiert. Da die äussere
Wärmeleitfähigkeit h mit abnehmender Luftdichte sich langsam
verringert, so wird im selben Masse der Trägheitskoefificient des
ventilierten Thermometerkörpers mit wachsender Höhe zunehmen,
also die anzubringende Korrektion sich vergrössern.
Wir wissen aber ferner, dass die mit dem Trägheitskoefifi-
cienten unzertrennlich verbundene Grösse der äussern Wärme-
leitungsfähigkeit nicht bloss von der Luftdichte und Ventilation,
sondern in ziemlich beträchtlichem Masse auch von der Temperatur
des Thermometerkörpers abhängig ist (Zunahme per l^C ungefähr
170), dass sie ferner mit jeder Veränderung des Zustandes der
Oberflächenschicht und dem Feuchtigkeitsgehalt der Umgebung
augenfällig variiert. Allein schon die Abhängigkeit der äussern
Wärmeleitfähigkeit von der Temperatur des aspirierten Thermo-
meterkörpers kann bei erheblichen Temperaturunterschieden zwischen
tiefern und sehr hohen Luftschichten aufiällige Variationen des
Trägheitskoefficienten veranlassen. Dazu tritt noch der bedeutsame
Umstand, dass bei einem ventilierten Thermometer zwischen stei-
gender und fallender Temperatur betreffs der Erkaltungs- und Er-
wärmungsgeschwindigkeit ein merklicher Unterschied besteht;
letztere kann — bis zur gänzlichen Ausgleichung — zwei bis drei
mal geringer sein als erstere, was sich auch im Verhalten des
Trägheitskoefficienten ausgesprochen zeigt, der bei Erwärmung stets
grösser wie bei der Erkaltung erscheint. Herr Assmann hat, soviel
mir bekannt, bereits vor Jahren einmal auf erstem Umstand hin-
gedeutet und den Grund davon in der Kondensation des Wasser-
dampfes an dem Thermometerkörper und dessen Umgebung gesucht.
Solche Kondensationsvorgänge werden aber auch an der Bourdon-
Röhre des Registrierthermometers aufti-eten, zumal wenn letzteres
rasch von kältern in wärmere Luftschichten übertritt, und damit
wird zweifellos der Wert der äussern Wärmeleitfähigkeit, also auch
der Trägheitskoefificient des thermometrischen Recipienten erheblich
verändert. Aus all dem angeführten mag zur Genüge hervorgehen,
— so-
wie schwer es ist, nur einigermassen verlässliche Werte für den
Trägheitskoefficienten bezw. die anzubringenden Temperatarkorrek-
tionen abzuleiten, unter den so vielfach variierenden, oft kaum
kontrollierbaren Umständen, denen das Ballonthermometer auf
seinem weiten Zuge durch die niedem und höhern Luftschichten
ausgesetzt ist.
Trotz dieser ziemlich misslichen und wenig ermutigenden
Umstände habe ich versucht, über die Empfindlichkeit (resp. Grösse
des Trägheitskoefficienten) der bei unserer Fahrt verwendeten
Temperaturmessinstrumente — Aspirations-Thermometer und Ther-
mograph — wenigstens einige orientierende Bestimmungen, teil-
weise unter Variation der Dichte des umgebenden aspirierenden
Mediums, zu erhalten. Bei Ausführung der Versuche — wiederum
gefördert und ermöglicht durch das liebenswürdige Entgegenkommen
des Chefs der Präzisionswerkstätte Usteri-ßeinacher — wurde in
erster Linie unser Assmann'sches Aspirationsthermometer bekannter
Form vorerst auf etwa 40® C vorsichtig erwärmt und mit arre-
tiertem Aspirationsmechanismus (auf passender Unterlage) frei
unter einen grossen, starkwaudigen Rezipienten gebracht, welcher
durch einen schweren Metalldeckel, in den eine dicke Spiegelglas-
scheibe eingesetzt ist, mittels zehn Schraubenmuttern luftdicht ver-
schlossen werden konnte; hierauf rasch die Handpumpe in Bewegung
gesetzt und die nötige Evacuierung auf 600, 500 und 400 mm
vorgenommen. War letztere jeweils erreicht — die Druckvariation
konnte direkt an einem mit dem Rezipienten-Reservoir kommuni-
zierenden Quecksilber- Vergleichsbarometer ermittelt werden — so
löste man von aussen (mittels des an einer Stopfbüchse, innerhalb
an der Decke des Rezipienten fixierten Hilfsarmes) die Aspirations-
scheiben zur kräftigen Ventilationswirkung aus und beobachtete
nun die weitere Abkühlung des aspirierten Thermometers von 5 zu
5 Sekunden, bezw. von Viertel- zu Viertelminute. Die Temperatur
der Umgebung am Anfang und Ende jedes Versuchs wurde im
Reservoir selbst durch ein eingehängtes Thermometer -attachöe,
teils zur Eontrolle durch die letzte konstaute Einstellung des
— 90 —
Aspirationsthermometers so genau als möglich eimittelt. Wir
geben in nachstehendem für die verschiedenen Drucke von 728,
600, 500 und 400 mm eine der erhaltenen Reihen wieder, mit
Beschränkung auf die ersten 75 Sekunden der beobachteten
Abkühlungsdauer, die im Ganzen ungefähr 5 Minuten bis zur
konstanten Einstellung auf die Umgebungstemperatur bean-
spruchte.
Abkühlungsdauer in Sekunden
15
30
45
60
75
Druck :
in mm
Temperatur
des ventilierten Thermometers in ®
Temp. d.
Umgeb.
728
f
34,4
27,6
23,2
20,7
19,2
18,2
16,8
\
34,2
28,2
24,8
22,9
21,9
21,2
20,0
600
1
31,7
27,6
25,1
23,6
22,7
21,1
32,6
28,3
25,5
23,8
22,8
—
21,0
500
1
34,4
29,8
26,4
23,9
22,5
21,6
20,1
.
30,0
26,5
24,6
23,3
22,4
—
21,0
400
■
30,5
26,9
24,1
22,3
21,0
20,2
19,1
28,8
25,6
23,3
21,6
20,5
19,9
18,8
Bezeichnet A die einzelne, für jede Viertelminut« oben ge-
gebene TemperaturdifFerenz zwischen ventiliertem Thermometer und
mittlerer Temperatur der Umgebung, so berechnet sich nach der
Beziehung
aus den Unterschieden der natürlichen Logarithmen, je zweier um
eine Viertelminute auseinanderliegenden Beobachtungen, leicht ein
Mittelwert für den auf die ganze Minute bezogenen, den genannten
Druckwerten zugehörigen Trägheitskoefifizienten a des benutzten
Assmann'schen Aspirations-Thermometers. Wir erhalten so für den
Luftdruck von: 728 600 500 400 mm
Trägheitskoeffizient a = 0,50 0,54 0,54 0,55
Bei den Versuchen mit dem Puess'schen Aspirations-Thermo-
graphen erwärmte man die Bourdon-Spirale vorerst im Zimmer auf
— 91 —
21 — 22* C, brachte dann den ganzen Apparat rasch in einen
nebenan befindlichen kälteren Raum von ca. 9® C Temperatur, unter
gleichzeitiger Einleitung einer möglichst kräftigen und gleich-
massigen Aspiration, und zwar wie im Ballon, unter Anwendung des
Injektorstrahls mit komprimiertem Sauerstoff. Die während des
Versuchs nahe konstante Umgebungstemperatur wurde durch ein
Aspirationsthermometer vor und nach Beendigung des erstem be-
stimmt. Aus den verschiedenen so erhaltenen Abkühlungskurven
des ventilierten Thermographen mögen nachfolgende zwei Reihen
angefuhii; werden:
Abkühlungsdauer in Sekunden
15 30 45 60 75 90 105 120 150
Druck: '^^^P'
Temperatur des Aspirationsthermographen in " der
Umgeb.
-2q |19,1 17,4 15,8 14,5 13,6 12,6 11,9 11,3 10,9 9,2
|18,0 15,2 13,4 12,0 11,1 10,6 8,8
\ 1,54
welche nach der oben für l/a gegebenen Beziehung mittlere Werte
des Trägheitskoeftizienten a' — bei nahe normalem Luftdruck -
von 1,16 bis 1,54 für unseni Aspiratiousthermographen liefern,
d. h. das zwei- bis dreifache jenes dem ventilierten Assmann'schen
Thermometer zugehörigen Trägheitskoeffizienten.
Beachtet man, dass bei den raschen Höhenänderungen des
Ballons auf unserer Fahrt der zeitliche Difterentialquotient (,-:-)
der Temperatur pro Minute 2 bis 3 Grad eneicht, so ergibt sich
demnach, dass für unser Aspirationsthermometer die anzubringende
Korrektion a ^-r — selbst unter der Annahme, der Trägheits-
at
koeffizient variiere mit der Höhe bis zu ca. 350 mm Quecksilber-
druck verhältnismässig nur wenig — auf einen vollen Grad und noch
— 92 —
mehr ansteigt, also unter Umständen auch bei der besten Ventilation,
die Temperatur eines bestimmten Punktes der Atmosphäre noch
um diesen Betrag unsicher wird. Für den Thermographen er-
reichen die Korrektionen jedoch das zwei- bis dreifache des letztern
Wertes; aus diesen Gründen und dem Umstände, dass die Unter-
bringung des Instrumentes in dem neben der Gondel freihängenden, in
den obern atmosphärischen Schichten stark bestrahlten Weidenkorbe
verschiedene Beschränkungen mit sich brachte, die eine rationelle
und einwuifsfreie Bestimmung des mit Feuchtigkeit, Temperatui*,
Druck, etc. vai'iabeln Trägheitskoefßzienten, ebenso des Differential-
A TT
quotienten -r- und damit der anzubringenden Korrektionen für die
verschiedenen Höhenlagen zum Teil unmöglich machten, haben wir
auch von einer weitern Verwertung der Thermographenaufzeich-
nungen an dieser Stelle abgesehen. Was auf der letztjährigen
ersten Konferenz der internationalen aeronautischen Kommission
besonders betont wmde, dass so wünschensweii es auch wäre, in
bemannten Ballons eine kontinuierliche Registrieiimg der Temperatur
zu erhalten, doch der gegenwärtige Standpunkt unserer Instrumente
dies leider nicht gestatte, hat durch obige Erfahrungen auf unserer
Fahrt eine neue Illustration erfahren. Noch kürzlich bemerkte
übrigens Hr. Assmanu selbst über den (Fuess^schen) Aspirations-
thermographen (a. a. 0.) „. . . So einfach dieser Appai'at auch scheint,
so wenig hat er doch bisher den Erwartungen entsprochen, die
man an ihn stellen musste, wenn es sich um die Unwirksam-
machung starker Wärmestrahlung handelte. Die Schwierigkeit,
einen Bourdon-ßing von einem unter 4 cm herabgehenden Durch-
messer zu konstruieren, bedingte die Bewegung ausserordentlich
grosser Luftmengen und damit die Verwendung sehr grosser, nur
durch starke Federn oder Gewichte zu treibenden Aspiratoren. Für
den Gebrauch im Luftballon, besonders bei Auffahrten unbemannter
Begistrierballons, erwies sich die Lösung der Aufgabe auf diesem
Wege als unausführbar, zumal in den höchsten von solchen
Ballons zu erreichenden Luftschichten, die Sonnenstrahlongsinten-
— 93 —
sität eine äusserst grosse, die Luftdichte aber eine entsprechend
geringe ist . . . .*
In Anbetracht der erörterten, ziemlich weiten Fehlergrenzen
darf daher, wie ja schon Finsterwalder und Sohncke gelegentlich
hervorhoben, auf die einzelne Beobachtung im Ballon kein sehr
hoher Wert gelegt werden; erst die Vergleichung vielfältiger Be-
obachtungen wird zu sichern Schlussfolgerungen berechtigen, ins-
besondere da es bei vereinzelten Angaben oft sehr schwer ist, das
Typische von dem Zufälligen zu unterscheiden.
B. Die Wahl des Aufstiegstages und Verbindung des Unter-
nehmens mit den internationalen Simnltanfahrten.
Bevor wir auf die Beobachtungsresultate des Ballons „ Wega
und deren Diskussion im einzelnen eintreten, dürfte es zweckmässig
sein, vorerst in kurzem Überblick, die allgemeine Witterungslage
und die damit eng zusammenhängenden, umständlichen Verhältnisse
zu schildern, welche die Wahl des 3. Oktober als Auffahrtstag der
,Wega" nach jeglicher Richtung motivierten. Auf Grundlage der
neuern Beobachtungsergebnisse isolierter Bergstationen war es zum
vornherein klai*, dass eine reine Überquerung der Alpen in Süd-
Nord oder Nord-Südlicher Richtung kaum möglich sein werde,
weil anhaltende, in höhere Luftschichten hinaufreichende Südwinde
ebenso wie dauernd kräftige Nordwinde in der Höhe so selten sind,
dass man darauf nicht abstellen kann. Man hatte grundsätzlich
beschlossen, den Aufstieg im ruhigeren Herbst, im Laufe des
Monats September, vorzunehmen, da man um diese Jahreszeit nach
vielfachen frühern Erfahrungen am ehesten eine Wetterlage er-
warten durfte, die einen kräftigen und dauernden obem Südwest-
wind über den Alpenkamm mit sich brachte. Unter diesen Um-
ständen konnte als zweckmässigster Ausgangspunkt in erster Linie
das Städtchen Sitten im Wallis in Frage kommen; von dort aus
durfte man bei dem zu erwartenden Südwestwind am leichtesten
— 94 —
über die Berner-, Urner- und Glarneralpen nach dem Rheinthale
gelangen, und selbst im ungünstigen Falle, bei Ost- bis Südost-
wind in der Höhe, konnte noch ein Teil der südwestlichen Schweizer-
alpenkette und das Plateau bis zum Jura überflogen werden. In
Sitten duifte man überdies am ehesten die für eine Auffahrt un-
entbehrlichen Hilfsmittel, Wasser, Gas, Arbeitskräfte u. s. w. zur
Verfügung gestellt erhalten.
Leider brachten es verschiedene Umstände mit sich, dass mit
der Füllung der „Wega^ erst am Schlüsse des Monats, den
26. September, begonnen werden konnte, die jedoch statt drei
Tagen, wie man gehofft hatte, eine ganze Woche in Anspruch
nahm. Auf diese Weise ging kostbare Zeit verloren; der Ballon,
der schon an und für sich später, als man geglaubt hatte, in
Sitten zur Füllung eingetroffen war, konnte einzelne zum Teil
wundervolle Witterungssituationen mit günstigem oberem Südwest-
wind, überhaupt die herrlichen Septembertage letzten Jahres, die
fast ohne Unterbrechung bis zum 27. des genannten Monats ange-
dauert hatten, nicht mehr ausnutzen. Noch während der Füllung
trat in der Nacht vom 27./28. September ein durchgreifender
Witterungsumschlag ein. Am Samstag, den 1. Oktober, war die
„Wega'^ fahrbereit, so dass man im Notfalle am nächsten Morgen,
Sonntag den 2. Oktober, die Auffahrt ausführen konnte.
Von Seiten der internationalen aeronautischen Kommission,
— die dem Unternehmen die weitgehendste, unermüdliche Unter-
stützung zu Teil werden liess — waren unterdess alle Vorbe-
reitungen getroffen worden, auf dass am Tage des schweizerischen
Aufstieges von möglichst vielen Punkten Europas gleichzeitige
Ballonfahrten stattfinden konnten. Das internationale Uuternehmen
war dieses Mal — so bemerkte dessen hochverdienter Leiter und
Förderer, Professor Dr. Hergesell — mit besonderen Schwierig-
keiten verknüpft, da der Tag und die Stunde der Abfahrt nicht wie
bei den früheren Unternehmungen vorher genau bestimmt war,
sondern die letztern bei den internationalen Auffahilen sich nach
der Ausführung des schweizerischen Unternehmens richten musste,
— 95 —
dessen Ausfuhrung von einer bestimmten Wetterlage abhängig ge-
macht wurde.
Unter diesen Umständen hatte der Präsident der inter-
nationalen aeronautischen Kommission, Direktor Hergesell, sich
selbst nach Sitten begeben, um persönlich an den Beratungen und
Vorbereitungen für die daselbst bevorstehende Hochfahrt der »Wega**
teil zu nehmen und gegebenen Falls die internationalen Teilnehmer
so schnell wie möglich von dem Entschlüsse, den Aufstieg zu unter-
nehmen, benachrichtigen zu können. Die internationalen Ballon-
stationen waren am 27. September aufstiegsbereit und es ist ja
wohl erklärlich, dass als die Auffahrt der ,Wega* sich bis zum
3. Oktober hinauszog, eine gewisse Ungeduld bei den Teilnehmern
Platz greifen musste. Am Sonntag den 2. Oktober nachmittags
3 Uhr traf in Sitten von der Schweizerischen Meteorologischen
Centralanstalt an die Teilnehmer der ^Wega" -Fahrt ein Telegramm
ein des Wortlautes: „Barometrisches Maximum über dem Kanal
ostwärts schreitend, unterer Wind Nordost, Kigi und Säntis leichter
Südost; Nordschweiz vormittags neblig, mittags aufheiternd. Für
Auffahrt nicht ungünstig, jedoch in mehr nördlicher oder nordwest-
licher Richtung.** Am selben Abend gingen dann nach Paris,
München, Berlin, Wien und Petersburg Telegramme ab, mit der
Anzeige, dass die Auffahrt der Wega voraussichtlich am Montag
früh von statten gehen werde.
An ein längeres Zuwarten unsererseits war nicht mehr zu
denken, zumal auch für die nächste Folgezeit die allgemeine
Wetterlage — Hochdruckzone nordwärts der Alpen, Tiefdruck
über dem südlichen Teile Europas — durchaus keine erheblich
bessere Gestaltung der Windverhältnisse, mit Drehung des Ober-
windes gegen Südwest, in Aussicht stellte. Am Montag Morgen,
den 3. Oktober, um 8 Uhr, als dann von den schweizerischen
Höhenstationen wiederum verhältnismässig günstige Witterungs-
depeschen mit Aussicht auf Klarheit der Alpen und oberer Wind-
richtung zwischen SE und S eingetroffen waren, konnte endlich
die definitive Aufforderung an sämtliche internationale Ballon-
— 96 —
Stationen abgehen, die Auffahrten um 11 Uhr vormittags, dem
Zeitpunkte, wo die „Wega** sich voraussichtlich erheben würde,
stattfinden zu lassen.
Jeder, dem bekannt ist, mit wie viel Schwierigkeiten und
Reibungen die Vorbereitungen eines bemannten oder unbemannten
Ballonaufstieges verknüpft sind, wird es als eine höchst beachtens-
werte Leistung der internationalen aeronautischen Kommission an-
erkennen, dass es überall gelungen ist, die vorgeschriebene Ab-
fahrtszeit mit nur geringen ZeitdifiFerenzen einzuhalten, wiewohl die
endgültigen Depeschen erst drei Stunden vor dem Abfahrtstermin
aufgegeben werden konnten.
An dem internationalen Unternehmen beteiligte sich das me-
teorologische Observatorium zu Trappes bei Paris (Direktor Teis-
serenc de Bort), feiner München, Wien, Berlin und Petersburg
durch je einen bemannten Ballon, während unbemannte Ballons,
bestimmt, grosse Höhen zu erreichen, ausserdem noch in Peters-
burg und Sitten emporsteigen sollten. In Sitten befand sich der
400 m^ fassende Registrierballon „Langenburg" des Strassburger
meteorologischen Institutes, der mit der Absicht, die meteorolo-
gischen Verhältnisse über den Alpen in noch höheren Schichten,
als die „Wega" voraussichtlich erreichen konnte, zu erforschen,
dorthin transportiert worden war. Der ursprüngliche Plan, den
Registrierballon vor der „Wega** aufsteigen zu lassen, damit er
derselben die in verschiedenen Höhen herrschenden Windrichtungen
und damit die Wege weisen sollte, musste leider aufgegeben
werden, da wegen eventuellen Mangels an Wasserstoff — man
musste stets darauf bedacht sein, bei längerem Abwarten zum
Nachfüllen der „Wega" Gas bereit zu halten — die Füllung des
kleinen Ballons erst an dem Tage, wo die Auffahrt stattfinden
sollte, vorgenommen werden konnte. Zudem ereignete sich am
Auffahrtstage selbst wieder ein Unfall, der die Pumpe des Gaser-
zeugers ausser Funktion setzte und zu dreistündiger Unterbrechung
der Füllung zwang. Erst nach der Abfahrt der »Wega* konnte
dieselbe fortgesetzt werden. Um 3 Uhr war der Ballon, der leider
— 97 -
etwas Gas verlor, noch nicht zur Hälfte voll, als der Maschinist
die Meldung brachte, dass keine brauchbare Schwefelsäure mehr
vorhanden sei. Prof. Hergesell beschloss unter diesen Umständen,
den nur halb gefüllten Ballon mit Apparaten emporzusenden, ein
Beschluss, der in gewisser Beziehung ein Wagnis zu nennen war,
als ein heraufziehendes Gewitter mit stai'kem Wind die Abfahrt-
manöver sehr erschwerte, aber anderseits notwendig war, wenn
überhaupt etwas eiTeicht werden sollte. Der halbgefüllte schlappe
Ballon wurde durch den Sturm wie ein Segel umhergeschleudert
und verlor von der ohnehin mangelliaften Füllung noch einen be-
trächtlichen Teil. In grösster Eile wurde noch der Korb mit den
Instrumenten befestigt. Der während eines stai'ken Windstosses
in Freiheit gesetzte „Langenbm-g" stürmte mit dem Ballastsack
gegen den hohen Zaun, der den Abfahrtsplatz umgab, wodurch
derselbe abriss, streifte mit dem Instrumentenkorb durch eine in
der Nähe befindliche Platanenallee, stieg dann rapid in die Höhe
und verschwand nach ungefähr 10 Minuten als vollkommene Kugel
in dem Wolkenmeer. Diese ungünstigen Vorfölle bei der Abfahi't
haben leider verhindert, dass der „Langenburg** die ihm zuge-
schriebene Aufgabe völlig erfüllen konnte. Die Federn des Thermo-
graphen wurden durch den Stoss so verbogen, dass sie ihre Kurve
nicht schreiben konnten. Allein der Barograph funktionierte und
nach dessen Angaben erreichte der Registrierballon trotz seines
mangelhaften Zustandes noch eine Höhe von 11,000 m; gegen
6 Uhr nachmittags landete er bei Apples in der Nähe von Morges
am Genfersee.
C. Meteorologische Beobachtungen und Resultate des Ballons
„Wega".
In nachstehender Tabelle sind zunächst alle direkten, von
mir am Aspirationsthermometer gewonnenen Beobachtungen mit
den gleichzeitigen am Üsteri-Barographen gemachten, auf Queck-
silberdruck reduzierten Ablesungen samt den, dmxh das Haarhy-
7
— 98 —
Meteorologische Beobachtungen des Ballons ,Wega
Zeit
Luft-
Luftdruck
Seehöhe
Rel. Feucht.
Dampf-
M. Ei. Z.
temperatur
red.
Meter
Haarh.
druck
C®
mm
proc.
mm
stunde Min.
10.30
16,0
720
512
50
6,75
10.53
')
Aufstieg!
11.00
9,0
615
1830
53
4,58
11.07
5,2
575
2400
47
3,13
11.15
3,1
540
2912
50
2,88
11.22
^ 0,8
522
3185
48
2,35
11.23
— 0,3
510
3372
45
2,03
11.28
- 1,4
495
3610
50
2,08
11.31
»)- 3,8
475
3937
45
1,57
11.33
- 4,8
465
4105
40
1,30
11.36
6,0
452
4327
36
1,07
11.39
11.41
*)- 5,2
')- 5,7
455
4277
31
0,98
11.44
- 7,3
445
4450
40
1,08
11.48
«)- 7,4
430
4716
38
1,02
11.52
- 7,2
425
4808
35
0,95
11.55
— 9,0
418
4937
30
0,71
11.59
-11,4
402
5238
25
0,49
12.04
')- 8,6
425
4810
30
0,73
12.05
- 9,4
415
4995
32
0,65
12.09
1 —13,2
393
5410
^) Abfahrt von der Place d'armes in Sion; ganz schwacher NE (Thalföhn),
über den Höhen ziehende Ca, wenige Ci, sonst tiefes Himmelsblan.
') Unter drehender Bewegung des Ballons 11 Uhr 20 Minuten über
Conthey.
') Prächtige Nebelbilder auf streifenden Ca.-Nebel an den Gehängen
hinter Erdes.
*) Über Derborance.
^) 11 Uhr 41 Minuten über den Diablerets (stark bewölkt); Glacier de
Zanfleuron rechts unter uns.
') Penninische Alpen zwischen alto-Cu. sichtbar, dagegen Alpen von
Freiburgy Waadt und Chablais wolkenlos; 11 Uhr 50 Minuten über Ormond.
^) Pilatus, Säntis, Rigi schauen aus dem Nebelmeer, obere Grenze
desselben in der Ost- und Centralschweiz 1400— 1500 m; 12 Uhr 03 Minuten
ca. 0,5 km östlich der Rochers de Naye.
— 99 —
Zeit
Luft-
Luftdruck
Seehöhe
Rel. Feucht.
Dampf-
M« £j* Z.
temperatur
red.
Meter
Haarh.
druck
C«
mm
proc.
mm
stunde Min.
12.14
— 10,2
410
5087
23
0,44
12.17
— 13,0
390
5470
12.21
»)— 16,2
370
5869
23
0,31
12.24
— 16,6
7
12.27
— 15,6
23
0,33
12.30
— 16,6
371
5846
24
0,32
12.35
-14,4
12.40
— 14,6
24
0,36
12.44
«)- 15,4
384
5589
24
0,35
12.48
»^— 16,0
375
5768
22
0,30
12.55
— 10,0
414
5012
30
0,66
12.59
— 8,6
438
4570
40
0,98
1.04
— 6,0
44
1,31
1.06
'')- 4,6
470
4020
45
1,48
1. 10
— 5,2
460
4190
43
1,36
1.13
— 6,6
446
4432
39
1,11
1. 17
»«)- 9,4
34
0,78
1. 19
— 12,0
395
5372
32
0,60
1.23
20,0
347
6348
30
0,30
1.32
25
(0,27)
1.43
— 18,0
359
6096
1.52
2.00
20,8
18) 19,0
343
354
6434
6199
27
0,28
2.08
— 20,3
346
6369
2. 17
— 17,8
29
0,35
2.21
'')- 13,5
388
5509
32
0,54
') 12 Uhr 22 Minuten über Remaufens bei Chltel-St. Denis; ganzer Neuen -
burger- zugleich mit Lemansee sichtbar; Bewölkung 2, gegen E, N u. W ci. S.
*) Bei Oron-la-ville, von Lausanne gegen Westen über Grenfersee
lückenhaftes Nebelmeer.
^°) Glärnisch, Urirotstock, Titlis und Berneralpen hell, Hochalpen als
zusammenhängender Wall vom Säntis bis Savoyen.
**) 1 Chr 06 Minuten ca. 2 km westlich von Yverdon.
*•) Über dem Juragebirge, unscheinbar wie Kanzeln; 1 Uhr 27 Minuten
Verriferes, 1 Uhr 30 Minuten Schweizergrenze passiert.
^') Beginne zeitweise mit Sauerstoffatmung; bei schwachem Pulsschlag
Gefühl von ausserordentlicher Abspannung, hie und da Herzklopfen, Kopfschmerz.
**) Am Horizont gegen W, SW, N und NE Cu. in einem Niveau;
2 Uhr 25 Minuten über Besangen; Bewölkung 2, ci. S. und einzelne ci.
— 100 —
Zeit
Luft-
Luftdruck
Seehöhe
Rel. Feucht.
Dampf-
M. E. Z.
temperatur
red.
Meter
Haarh.
druck
C^
mm
proc.
mm
stunde Min.
2.24
- 9,1
414
5015
40
0,94
2.27
45
(1,34)
2.30
- 2,0
488
3724
52
2,07
2.38
2,5
535
2986
56
3,09
2.41
>^) 7,0
585
2256
52
3,93
2.51
5,0
566
2528
46
3,03
2.55
3,4
44
2,59
3.00
0,4
515
3293
42
1,99
3.04
- 2,0
490
3691
42
1,68
3. 10
- 4,4
470
4020
40
1,34
3. 19
8,0
430
4718
37
0,95
3.25
35
0,71
3.30
— 14,0
381
5648
32
0,52
3.34
— 19,0
350
6287
31
0,34
3.37
20,9
340
6501
30
0,28
3.42
htfchtter Punkt
327
6800
30
3.45
— 20,0
30
0,29
3.50
— 17,0
365
5973
35
0,45
3.55
37
(0,59)
4.01
11,0
403
5217
39
0,79
4.06
- 8,4
419
4918
42
1,04
4.10
- 4,5
465
4104
46
1,53
4.15
— 0,3
512
3341
52
2,35
4.23
5,4
572
2442
75
5,07
4.35
4.40
1«) 14,5|
15,0f
735
350
80
10,00
Landung nm 4 Uhr 35 Minuten nachmittags bei dem Dörfchen Riviere
auf der Grenze der Departements Cöte d'Or und Haute Marne. — Mittlere
Richtung N 45« W.
Dauer der Fahrt 5 Stunden 42 Minuten. — Länge der Bahn : 229 km. —
Durchschnittliche Fluggeschwindigkeit: 11,2 m per Sekunde.
") Thal des Oignon, in ca. 1400 m darüber feine Cu.-Nebelschicht
(Luftwogen?), darunter dunstig, oben hell; 3 ühr 40 Minuten über Öray-sur-
Saöne, 3 Uhr 45 Minuten rascher Absturz.
^*) 4 Uhr 35 Minuten Landung nach kurzer Schleppfahrt bei zeitweise
frischem NE bis E; leicht bewölkt (3).
Beobachtungs
H. E. Zeit.
Barom. aaf
Temp*
Stande.
0<> red.
C.
Vit
597,1
4
9»/«
597,7
5
iiV«
598,2
6
IV«
598,1
7
37«
598,2
6
5'/«
598,2
6
7V«
598,8
6
87«
599,0
5
77«
566,8
567,7
567,8
567,9
568,4
4
5
5
4
\
'X
- 101 —
Wetterkarte vom 3. Oktober 1898, vormittaga.
Rftih - riufrU/itunp der ßcjlo,
— 102 —
grometer vielfach kontrollierten, entsprechenden Angaben der relativen
Feuchtigkeit vom ßichard-Hygi'ographen zusammengestellt. Die
Berechnung des Dampfdruckes bei Temperaturen unter 0® geschah
wie üblich durch Benutzung der von Juhlin in seinen neuen Spann-
kraftstabellen veröffentlichten Werte. Bei der Höhenbestimmung
ist die ausführlichere, bequeme barometrische Tafel von Hann mit
genäherter Berücksichtigung des Wasserdampfgehaltes der Luft
verwendet worden; dabei wurde wegen des Temperaturfaktors
möglichst von Stufe zu Stufe vorwärts gegangen, d. h. die Höhe
der Luftsäule von einer Beobachtungsschicht zur andern berechnet,
unter Zugrundelegung der meteorologischen Elemente für das Re-
duktionsniveau von 2500 m, soweit sie für den Tag der Auffahrt
durch die Beobachtungen unserer Höhenstationen vom Säntis im
äussersten Nordosten des Landes bis hinaus gegen den Grossen
St. Bernhard, Kochers de Naye und Chaumont im Jura hinlänglich
festgelegt waren.
Für den 3. Oktober, ein Tag mit ausgesprochen herbstlichem
Gepräge, zeigen die allgemeinen Wetterkarten (vrgl. Fig. 17 a u. 17 b)
ein Hochdruckgebiet von 770—772 mm, das sich zungenfönnig
von den britischen Inseb über die Nordsee, Holland, Nord- und
Mitteldeutschland bis gegen Polen erstreckt; von da nimmt der
Druck, sowohl nach Nordosten als Südosten, ab gegen Gebiete über
denen Depressionen lagern. Entwirft man eine Detailkarte, so
lässt diese erkennen, dass über dem westlichen und südwestlichen
Frankreich eine Ausbuchtung der Isobaren besteht, die sich als
Furche verhältnismässig geringeren Drucks (761 — 765 mm) gegen
die südwestliche Schweiz nach einem über dem nördlichen Alpen-
vorland auftretenden sekundären Maximalkem (mit 768 mm)
erstreckt. Auch im oberen Niveau von 2500 m weist die Luft-
druckverteilung ein leichtes, von Osten gegen den Westen und
Südwesten des Landes und der anstossenden französischen Gebiets-
teile bestehendes Gefälle auf; die Eammhöhe unserer Schweizer-
alpen, längs ihrer ganzen von NE gegen SW ca. 230 km langen
Erstreckung, verläuft in 2500 m Meereshöhe zwischen den Isobaren
— 103 —
von 568 und 567 mm. Dieser Druckverteilung entspricht ganz
die am Fahrtage in den Höhen herrschende, vorwiegend südöst-
liche Luftströmung, während in den nördlichen Niederungen, am
vorgelagerten Alpenwall, letztere meist als Nordost zum Vorschein
trat. Die allgemeine Situation erscheint verhältnismässig recht
ruhig und änderte sich bezüglich der Luftdruckverteilung während
der Fahrzeit (11 Uhr morgens bis 5 Uhr abends) ausserordentlich
wenig; von 10 Uhr vormittags bis gegen den spätem Nachmittag
zeigen auch die sämtlichen Hochstationen kaum irgend eine merk-
liche Standänderung am Barometer. Eine mehr pder weniger
zusammenhängende Nebeldecke mit oberer Grenze in 1500—1600 m,
unter der am Vormittag eine ziemlich gleichmässige Temperatur-
verteilung (12—14® C) herrschte, zieht sich von den süddeutschen
Stationen über Bhein und Bodensee bis an unsere westliche und
südwestliche Landesgi'enze*), wo sie gegen Mittag zwischen Qenfer-
und Neuenburgersee verschwindet und den darüber hinziehenden
Insassen der «Wega** ein entzückend schönes herbstliches Land-
schaftsbild entrollt.
Auch im obern Wallis, ebenso wie in den südlichen Alpen-
thälern dieses Kantons war der Himmel völlig bedeckt, am Grossen
St. BeiTihard, 40 km vom Aufstiegsort entfernt, fiel Schnee unter
Tags und abends; von der Südseite der Alpen meldeten die, unter
cyclonalem Einfluss stehenden Stationen durchwegs trübe, reg-
nerische Witterung. Dagegen heiterte der Himmel von Siders an,
das Bhonethal abwärts, im Laufe des Vormittags vollständig aus,
und als die ,Wega" 10 Uhr 53 Minuten von der Place d'armes
in Sitten ihre Hochfahrt unternahm, wölbte sich im lichten
Sonnenschein ein tadelloses Himmelsblau über der gasgefollten
Biesenkugel.
Bei dem verhältnismässig normalen herbstlichen Charakter
des Tages waren überraschende Ergebnisse betreffs der vertikalen
Verteilung der meteorologischen Elemente in den untern atmo-
^) und die anstosseaden französischen Departemente.
— 104 —
sphärischen Schichten nicht zu erwarten; auch zeigte die „Wega**
anfänglich so starken Auftrieb, dass wir jene schon binnen wenigen
Minuten durchflogen. Überdies war ich während der allerersten
Zeit des Aufstieges mit der letzten zweckmässigen Anordnung des
fast überreichen meteorologischen Instrumentariums und dem un-
gewohnten, wahrhaft überwältigenden Ausblick auf die reizvolle,
wunderbare Umgebung so vollauf beschäftigt, dass die Momente
für Beobachtungen ausserordentlich knapp erschienen. Anfänglich
wurde der Ballon von der leichten nordöstlichen Thalföhnströmung
erfasst und etwas abwärts gegen Conthey getrieben, um dann, un-
gefähr in der Höhe von 2400 m erstere zu verlassen und eine
fast rein nordwestliche Richtung einzuschlagen, die ihn bald über
die teilweise in Wolken gehüllte Diableretsgruppe gegen die
Waadtländer- und Freiburger Alpen, über die herbstlich besonnten
Gefilde zwischen Leman- und Neuchäteler See nach dem Jura und
französischem Qebiet entführte.
Ich habe die in der obenstehenden Tabelle gegebenen Tem-
peraturbeobachtungen und Höhen, soweit sie während der ersten
Phase unserer Fahrt bis nahe zur Maximalhöhe, über dem Gebiete
des untern Rhonethals, der Waadtländer- imd Freiburger Alpen
samt dem anstossenden Plateau bis zum Juragebirge innerhalb
einer Zeit erhalten worden sind, wo ich mich noch einer unge-
trübten, ziemlich normalen LeistungsMigkeit erfreuen durfte,
graphisch aufgetragen (Ordinate 100 m = 2 mm, Abscisse 2^ =
10 mm), dann zusammengefasst nach Höhenstufen von je 250 m
und damit nachstehendes Bild der Temperaturverteilung, samt
den entsprechenden mittleren Werten von Dunstdruck und
relativer Feuchtigkeit bis zur Höhe von 6500 m erhalten;
es geschieht hier zum ersten Mal, dass wir aus
dem eigentlichen Alpengebiet und aus so be-
trächtlichen Höhen der freien Atmosphäre Kennt-
nis von dem meteorologischen Zustand der letztern
erhalten.
105 —
Höhe in rp . Abnahme pro 100
Meter Temperatur ^
m
500— 750
15,3
0,52
750 1000
14,0
0,60
1000—1250
12,6
0,48
1250 1500
11,3
0,56
1500—1750
10,1
0,44
1750 2000
8,8
0,52
2000—2250
7,3
0,72
2250—2500
5,6
0,64
2500 2750
4,2
0,44
2750 3000
3,1
0,48
3000—3250
1,5
0,80
3250—3500
-0,2
0,60
3500—3750
-1,6
0,48
3750—4000
-3,2
0,84
4000—4250
-4,9
0,44
4250—4500
-6,2
0,64
4500-4750
-7,7
0,56
4750 5000
—8,9
0,40
5000—5250
10,4
0,80
5250—5500
— 12,3
0,76
5500 5750
—14,5
0,90
5750—6000
— 16,7
0,68
6000 6250
—18,5
0,76
6250—6500
—20,5
Gesamtni
0,84)
dttel 0,62
0,56
0,68
0,79
Rel.
Dampf-
eucht.
druck
7o
mm
51
6,59
52
5,64
53
4,88
48
3,66
47
2,89
50
2,85
47
2,39
45
2,05
49
2,01
45
1,65
39
1,26
38
1,11
36
0,94
30
0,72
23
0,49
32
0,59
23
28
0,33
0,29
Die Abnahme der Temperatur mit wachsender Höhe auf je
100 m Erhebung in der freien Atmosphäre zeigt hier im allge-
meinen einen ziemlich unregelmässigen Gang; doch leuchtet vor
allem das prägnante Resultat auch da wieder heraus, was durch
die zahlreichen deutschen wissenschaftlichen Ballonfahrten, fernab
vom Alpengebiet, schon wiederholt erwiesen worden ist, dass mit
der niedrigeren Temperatur der höhern Atmosphärenschichten eine
stärkere Abnahme der Lufttemperatur mit zunehmender Erhebung
eintritt, als man fi-üher nach Glaisher^s Fahrten allgemein ange-
nommen hatte. Bei unserer Hochfahrt der „Wega* zeigt sich
diese Erscheinung namentlich von 5000 m ab, wo der mittlere
— 106 —
vertikale Temperaturgradient zwischen 5000 und 6500 m per
100 m Erhebung 0,8® C beträgt, während als mittlere Temperatur-
abnahme für die ganze Luftschicht zwischen 500 und 6500 m per
100 m, 0,62® C resultiert. Vergleichsweise möge hier angeführt
werden, dass für die Temperaturabnahme mit der Höhe
Glaisher im Mittel seiner Fahrten erhielt:
zwischen 0—2440 m 0,68®
2440—4270 „ 0,46®
4270—6100 „ 0,34®
6100—7925 „ 0,18®
Gesamtmittel 0,44®
Dagegen Berson im „Humboldt* und „Phönix*'*) per
100 m:
am 11. Mai 1894 4. Dezember 1894
zwischen 0—2345 m 0,48®] 1450—4250 m 0,55®\ ^^o
2345—4525 „ 0,57®l 0,59® 4250—6050 „ 0,81®1 '
4525—6165 „ 0,67®) 6050—8050 „ 0,63®\ o
6165—7754 „ 0,75® 8050—9150 „ 0,91®| "'''*
0,65® 0,71®
14. März 1893 19. Oktober 1893
0—2440 m 0,48® 0—2465 m 0,45®
2440—4315 ^ 0,60® 2465—4300 „ 0,61®
4315—6100 „ 0,83® 4300—6100 „ 0,58®
6. September 1894
0—2000 m 0,74®
2000—4250 „ 0,58®
4250—6100 „ 0,81®
Der starke Gegensatz springt sofort in die Augen und zeigt
wie vieles wir der verbesserten Art der Temperaturmessung im
') Vergl. R. Assmann „ Übersicht über deutsche wissenschaftl. Ballon-
fahrten*" (Meteorol. Zeitschrift, XII. Jahrg.).
— 107 —
Ballon, durch die EinfuhruDg des ventilierten Thermometers, zu
verdanken haben.
Irgendwelche hervorstechende Eigentümlichkeiten oder be-
sondere Modifikationen betreffs der vertikalen Temperaturverteilung
bei der Annäherung an — beziehungsweise dem Fluge über die
vergletscherten Diablerets und die nächsten anschliessenden Gebirgs-
gruppen, die wir in einer Höhenlage von 4000—5000 m passierten,
lassen sich mit Sicherheit aus den oben angeführten Zahlengruppen
kaum erweisen. Wir ersehen nur, dass in der Schichte zwischen
3000 und 3500 m, auf welcher Höhe uns der Südoststrom rasch
über die ansteigenden, zum Teil stark bewölkten imd verschneiten
Gehänge der Diablerets führte, eine gegenüber den unmittelbar darunter
liegenden, dem wäi-mem Rhonethal angehörigen Luftschichten, aufiällig
grössere Temperaturabnahme von 0,6 — 0,8^ eintritt, die sich auch
späterhin gegen 4000 m, unmittelbar über den Diablerets, mit 0,84^
nochmals wiederholt. Im übrigen ist es ja klar, dass bei der raschen
Strömungsgeschwindigkeit der Luftmengen von 20 bis 25 m per
Sekunde, die wii- in nahe 1000 m über den Diableretskämmen an-
trafen, von voniherein nicht daran zu denken war, irgend welchen
typischen Einfluss des Gebirgsmassivs auf die Temperaturverhält-
nisse der darüber lagernden hohem, stark bewegten Luftschichten
der freien Atmosphäre rein hervortreten zu sehen, zumal wir
auch hart am Grenzgebiet einer cyclonalen Zone mit gestörten
Witterungsverhältnissen dahinzogen, die es bei den Resultaten
einer einzigen Fahrt recht schwierig machen, das rein Zufällige
von dem Besondern zu unterscheiden ; ein Tag mit norma-
leren, mehr anticyclonalen Verhältnissen über unserem Alpenlande
hätte in dieser Richtung wahrscheinlich noch reichere Ausbeute
gebracht.
Die Temperaturschicht von Null Grad, die sogen. „ Nulliso-
therme •*, passierte die „Wega** wiederholt auf ihrer Fahrt in mitt-
lerer Höhenlage von 3300 — 3400 m. Auch weiter draussen gegen
die Ebene, nachdem wir den Jura bereits überflogen hatten, scheint
jene nicht wesentlich höher gelegen zu haben, da um 3 Uhr nach-
— 108 —
mittags, über dem Tli&le des Oignon, das Aspiratiouathermometer
bei 3290 m Meereshöhe auf -(- 0,4" C zeigte. Diese verhältnis-
mässig tiefere Lage der Nulttemperaturschicht ist durchaus uicht
auf einen erkältenden Einäuss des Älpenmassivs, sondern lediglich
auf die allgemein herrschende Luftdruckverteilung über dem süd-
lichen und südwestliehen Oebiete des Continents zurückzuführen. Die
Flugbahn der «Wega" befand sich auf dem Grenzgebiet In nllehster
Nähe einer cyclonal gestöi'ten Zone (am Südabhang der Alpen),
welche ihre kältere Luft oben direkt über unser südwestliches Ge-
biet abströmen liess; schon die Auffahrt des Münchener Ballons
.Akademie", welcher gleichfalls gegen Nordwesten trieb, und die
am selben Yormitt^ draussen im nördlichen Alpenvorland, also
näher gegen den warmem barometrischen Maximalkörper, stattfand,
ergab eine merklich höhere Nullisotherme in 3G50 m, d. h. ein
Ansteigen der Isothermen gegen den höher temperierten Luftkörper
der über Norddeutschland It^ernden Hochdruckzone, innerhalb
welcher die Berliner LuftschifFer ßerson und Süiing am nämlichen
Tage die Nulltemperaturschiclit in 3600—3800 m gefunden hatten.
Am tiefsten m^ sie in unserem Lande über den südlichen das
Wallis abschliessenden Alpenkämmen gestanden haben, jedenfalls
unter 3000 m, wie der Schneefall und die Temperaturverhältnisse
auf dem Grossen St. Bernhard (2478 m) am Tage des Aufstieges
der ,Wega" erweisen.')
') Von beaonderem Werte ui dieaer Stelle wälen vergleichende D»t«i
des ObBervatorinnia Tsllot *af dem Montblftoc (in 4400 m) gewesen: leider
waren solche nictit erhiiltlit^h. indem Herr Direktor J. Vallot uns freandlichst
mitteilt: ,. . . . II m'est mslhenreDsement impossible de voiib satisfaire. Hes
fonds ne permettent paa de maintenir nn obeervatenr k Vtnnie an Mont
Blatte. Lonqne c'eit potsihle, je bin maroher mes iastramenti euregistrenn
an M, tniii rarament apris le 1 octobre. Dn reste, i cette ^poqne, leg
t d1iork«n-ie rileiit d'habitttde. Par raison d'^onoinie necesaaire,
[oe dn globe, qni penvent itre
n i. 6tre snbventionit^ je farai
holtat) terait hien itttfressaitte,
nts an iü, je ferai mon possible
— 109 -
Sehr bemerkenswert ist, wie unsere Tabelle und besonders
das Registrierdiagi'amm des Hygrogi'aphen zeigt, die gi'osse Trocken-
heit, welche die „Wega^ in den obern atmosphärischen Schichten
zwischen 5000 und 6500 m antraf. Nach den Angaben des Haar-
hygrometers beträgt die relative Feuchtigkeit dort nur 20 bis 30
Prozent; offenbar hatten sich die unter cyclonalem Einfluss stehenden,
direkt an der Südseite der Alpen aufgestiegenen, über das Gebiet
des Monterosa- Massivs herwehenden Luftmassen ihres Wasser-
dampfgehaltes teilweise entledigt und fluteten oben nun relativ
trocken und kälter gegen das Plateau zwischen Jura und Alpen
hinaus. Anlässlich des raschen und kontinuierlichen Abstieges der
„Wega* wurde auch eine beträchtliche Zunahme der Luft-Feuch-
tigkeit beobachtet, die vor der Landung beim Durchdringen einer
dünnen, in ca. 1400 m Höhe liegenden Nebelschichte, nahe den
Sättigungspunkt erreichte und mit einer raschen Temperatur-
abnahme von ca. 2® innerhalb letzterer verbunden war. Auch
diese Thatsache der rapiden Feuchtigkeitszunahme gegen die
niedrigeren atmosphärischen Schichten lässt deutlich erkennen, dass
wir die beobachtete Trockenheit der höhern atmosphärischen
Kegionen nicht durch einen von oben herabsteigenden Luftstrom
erklären dürfen; denn dieser hätte gegenteils Kompressionswärme
und damit verbundene Trockenheit in den tiefern Luftschichten
erzeugt.
Die Flugbahn der „Wega**, die auch die Windverteilung be-
stimmt, ist von unserem Falu-kollegen, Professor Heim, während
der Fahrt möglichst genau festgestellt worden durch Anvisieren
einer grossen Zahl von Punkten, die senkrecht überflogen wurden;
dagegen liess im französischen Gebiete, nach dem Passieren des
Jura, die genaue Orientierung wegen Mangel an Karten etwas zu
wünschen übrig. Die Fahrtlichtung war fast stetig gegen Nordwest
gerichtet und betreffend der Verteilung der Windgeschwindigkeit
ergaben sich folgende Ergebnisse:
— 110 —
Zeit
Höhenlage
Windgeschw.
Std.
Min. Std.
Min.
Meter
(Mtr. per Sekunde)
10.
55 11.
00
Vorm.
1800 2000
3,3
00—11.
15
2000—2900
2,4—3,3
15 11.
30
2900—3800
3,3—6,5
30—11.
35
4000
8,8
37—11.
38
4200
14,6
39—11.
42
4300
21,7 25,8
45—11.
50
4700
14,0
50—12.
00
Mitt.
4900
16,7 18,0
12.
00—12.
30
4900—5800
13,0—14,0
12.
30— 1.
00
5800 4100
8,2 10,0
1.
00 2.
30
4100—6400
14,8—15,8
2.
30 3.
30
6400—2200
9,0—7,4
3.
45— 4.
30
Nachm.
6800— 350
11,9—8,9
* Abstieg
Aas dieser kleinen Tabelle sticht vor allem die rapide Zu-
nahme der Windgeschwindigkeit mit der Annäherung an und dem
Fluge über das Gebirge heraus; noch bis zu 2900 m, ungefähr
2400 m über der mittleren Thalsohle des Wallis, entspricht jene
Geschwindigkeit nahe der vormittäglichen Stärke der untern nord-
östlichen Thalströmimg (Siders: 10 Uhr 45 Minuten NEi, 11 Uhr
30 Minuten NEo-i, 12 Uhr 15 Minuten NE 1-2), doch mit dem
Höhersteigen über die Gipfel der vorgelagerten Berggruppen
wächst sie ausserordentlich rasch und zeigt im freien Strome, beim
Überfliegen der Diablerets in 4300 m Höhe über Meer und mit der
starken Verengung des Stromquerschnitts, ein Maximum von nahe
26 m pro Sekunde. Beim weitern Höhersteigen der »Wega**
nimmt die Sb'ömungsgeschwindigkeit der Luft gegen das Plateau
zwischen Alpen und Jura wieder ab, um selbst in den höchsten
erreichten Höhen (bis zu 6800 m) kaum mehr die Hälfte jenes
Maximums zu erreichen, ja weiter draussen im französischen
Gebiet sinkt jene Fluggeschwindigkeit des Ballons, innerhalb der
ganzen Schichte von 6400 — 2200 m, wieder auf ein sekundäres
Minimum herunter. Doch mehr lässt sich aus den gefundenen
Zahlen nicht wohl schliessen; wie die stündlichen Aufzeichnungen
— 111 -
des Anemometers auf dem Säntisobservatorium am selben Tage
ergeben :
Säntis:
vormittags 7—8 8—9 9—10 10—11 11—12 ühr
Windrichtong SE SE SE SSE SSE
Wmdge8chwind.Mtr.pr.Sek. 6,1 6,4 4,4 6,9 9,4
nachmittags 12—1 1—2 2—3 3—4 4—5 5—6 6—7 7—8 Uhr
Windrichtung SSE SSE SSE SSE SSE SSE SE SE
Windgeschwind.
Mtr. pr. Sek. 6,7 6,1 13,1 6,7 0,8 0,3 1,9 6,4
dürften die oben gegen Mittag gefundenen grossen Zahlen
der Windstärke wahrscheinlich durch den täglichen Gang des
letzteren Elementes, wie man ihn far die Berggipfel schon lange
kennt, etwas beeinflusst sein. Wenigstens zeigt die Windge-
schwindigkeit in der freien Höhe des Säntis gerade um die Mit-
tagszeit eine merkliche sprungweise Zunahme und auch nachmittags
ein starkes An- und Abschwellen, das zwischen 2 und 3 ühr mit
13 m per Sekunde ein Maximum erreicht. Noch bis zu der Höhe von
10,000 — 11,000 m finden wir die obere südöstliche Luftströmimg
bestehen, wie der am Nachmittag gleichen Tages in Sitten auf-
gestiegene und abends bei Apples (in der Nähe von Morges) ge-
landete Registrierballon „Hohenlohe Langenburg* deutlich be-
kundete.
So bemerkenswert diese ausserordentliche Konstanz der
Windrichtung innerhalb eines derartig beträchtlichen Niveauunter-
schiedes der freien Atmosphäre an sich ist, ebenso auflällig ist da-
neben die verhältnismässig starke Veränderlichkeit der Windge-
schwindigkeit in den verschiedenen Schichten über unserem Alpen-
lande und dem Juragebiet. Schon gegen 4 Uhr nachmittags flaut
die Windstärke auf dem freien Säntisgipfel (2500 m) fast ganz ab
(4 — 5 ühr nachmittags SSE mit 0,8 m per Sekunde), während in
dem untern ca. 500 m tiefem Niveau von Pilatus und Rigi zur
selben Zeit immer noch eine frische südöstliche Strömung weht,
die auf der unmittelbar vor dem Alpenwall gelegenen Station
— 112 —
Brünig-Kulm (1000 m) bei starkem Nebeltreiben in NEs übergeht.
Westwärts davon, am Jura, notiert Chaumont in 1100 m Seehöhe
dagegen völlige Windstille, indessen unsere „Wega" noch weiter
draussen im französischen Gebiet, von 3*/* — 4^2 Uhr nachmittags
beim raschen Abstieg, zwischen 6800 m und der Erdoberfläche
selbst wieder eine Geschwindigkeit des Luftstroms von 9 — 12 m
konstatiert.
D. Die Ergebnisse der ftbrigen am 3. Oktober 1898 statt-
gehabten internationalen Ballonfahrten.
Es erübrigt zum Schluss noch eine vergleichende Zusammen-
stellung über die wertvollen Ergebnisse der verschiedenen anderen
am 3. Oktober, simultan mit der unsrigen, ausgeführten Ballon-
fahrten. Der Güte des Herrn Direktor P. Erk verdanken wir
nachstehenden, von dem Fahrttheilnehmer Dr. Franz Hörn verfassten
Bericht über
Die Münchener Fahrt vom 3. Oktober 1898.
„Der Ballon „Akademie*^ (1300 m^, Korbinsassen: Premier-
lieutenant Dietel als Führer mid Dr. Hörn von der k. b. Meteorologischen
Centralstation) stieg in München vom Übungsplatze Oberwiesenfeld
der k. Luftschifferabteilung um 11 Uhr 40 Minuten bei frischem
Nordostwind auf. Der Himmel war vollständig bedeckt, die Tempe-
ratur lag zwischen 13^ und 14^. Da die Luftbewegung eine ziemlich
lebhafte war, wurde dem Ballon in Anbetracht der Nähe hoher
Kamine ein sehr starker Auftrieb gegeben.
Wir traten denn auch im Nu unmittelbar nach der Abfahrt in
die Wolken ein und durchbrachen fast ebenso rasch wieder die
Wolkenschicht. Die Mächtigkeit der letzteren hat kaum 200 m be-
tragen, indem die untere Wolkengrenze bei 920 m, die obere bei
1120 m ungefähr gelegen sein wird.
Über den Wolken bot sich bei ganz klarem Himmel ein herr-
licher Ausblick auf das Gebirge, welches aus der vollständig bis zum
Horizont geschlossenen Wolkendecke emportauchte. Die letztere bot
das Bild eines unendlichen Schneefeldes, das aber durchaus nicht
— 113 —
einförmig erschien, sondern von unzähligen Furchen in den ver-
schiedensten Windungen durchzogen, sich sehr abwechslungsreich
gestaltete. Über dem Gebirge dehnten sich einzelne Ci-Streifen hin.
Entsprechend der geringen Höhe, bis zu welcher die Condensations-
schicht reichte, waren nicht nur das eigentliche Massiv der Alpen,
sondern auch die demselben vorgelagerten Berge in ihren oberen
Teilen sichtbar.
So lange wir über dem ununterbrochen ausgebreiteten Nebel-
meere fuhren, zeigte sich fortgesetzt auf demselben der Ballonschatten
mit Aureole.
Ein Ausblick nach der Tiefe war unmöglich. Sonach konnte
zwar eine Orientierung nach unten nicht vorgenommen werden; da
wir uns aber dem Gebirge nicht näherten, vielmehr uns langsam
davon zu entfernen schienen, ausserdem noch fortwährend das Ge-
räusch von fahrenden Eisenbahnzügen, welches auf mehrere Linien
schliessen Hess, zu uns herauf tönte, so vermuteten wir, dass wir uns
nur langsam von München entfernten, und voraussichtlich in nördlicher
bis nordwestlicher Richtung davon abtrieben.
Nach einer Stunde näherten wir uns dem Ende der vollständig
geschlossenen Wolkendecke. Das Gewölk trat stellenweise etwas
auseinander und gestattete nunmehr von Zeit zu Zeit kurzen Aus-
blick ins Gelände. Die Wolken waren jetzt als einzelne Haufen im
allgemeinen in langen Parallelreihen geordnet. Sie zogen unter uns
sehr rasch hinweg, unsere Fahrtrichtung kreuzend.
Noch konnte aber die Gegend, über welcher wir uns befanden,
nicht festgestellt werden. Doch wurden wir in unserer vorher aus-
gesprochenen Vermutung durch den eben genannten Umstand der
Kreuzung des unteren Wolkenzuges mit der Richtung des Ballon-
weges bestärkt.
Unsere Ansicht bestätigte sich denn auch, allerdings erst nach
zwei Stunden. Nach Verlauf dieser Zeit war es möglich, ein kleines
Stück des Lech, die Stadt Friedberg und endlich in dessen Nähe
Augsburg zu erkennen.
Während sonach unten ein frischer Nordost wehte, herrschte
in der Höhe eine verhältnismässig schwache südöstliche Luft-
strömung, mit welcher wir langsam gegen Nordwest getrieben waren.
8
— 114 —
Die Fahrtgeschwindigkeit auf dieser Teilstrecke berechnet sich zwi-
schen 8V2 und 9 m pro Sekunde. Kurz vor 2 Uhr zogen wir
in einer Höhe von 2850 m unmittelbar über Augsburg. Wir be-
wegten uns nur sehr langsam vorwärts und schienen zuweilen
nach dem Fortschreiten des Seil-Endes zu schliessen, fast ganz stille
zu stehen.
Das nach Nordwest gerichtete Gefälle wurde bis gegen den
Schluss der Fahrt beibehalten, während wir noch weiter hoch gingen.
Um 2 Uhr 50 Minuten erst wurde in einer Höhe von 3500 m die
Zusam überschritten. Auch bis hieher hatten wir nur eine Geschwin-
digkeit von SVs m pro Sekunde erreicht. Mit der Annäherung an
die Donau wurde die Luftströmung um weniges stärker und setzten
wir um 3 Uhr 16 Minuten etwas oberhalb Lauingen in einer Höhe
von 4020 m über den Fluss. Diese Strecke von der Zusam bis
über die Donau wurde in IOY2 m pro Sekunde zurückgelegt. Von
hier ging die Fahrt fortgesetzt in nordwestlicher Richtung weiter,
indem der Ballon noch bis zu 4700 m anstieg. Kurz vor 4 Uhr
begann er dann zu sinken und Hessen wir ihn ruhig weiter fallen,
da wir uns nunmehr an die Landung machen mussten. Wir pas-
sierten die württembergische Grenze, zogen rechts an Gingen vorbei
und hielten direkt gegen Heidenheim. Doch kamen wir nicht über
die Stadt selbst, sondern gingen knapp im Südwesten vorbei. Mittler-
weile waren wir wieder in die unterste Luftströmung geraten, welche
mit erheblicher Stärke hier unmittelbar von Ost nach West führte.
Von ihr wurde auch der Ballon ergriffen, wir bogen daher von
Heidenheim plötzlich scharf nach Westen ab, und trieben zum Schlüsse
mit sehr grosser Geschwindigkeit in dieser Richtung.
Die Landung erfolgte nach einer kurzen Schleppfahrt 13 km
westlich von Heidenheim auf einem Plateau oberhalb des Ortes
Söhnstetten.
Wie bereits erwähnt, erfolgte der Aufstieg unter frischem
Nordostwind bei vollständig bedecktem Himmel und einer Temperatur
zwischen 13^ und 14^. In der Höhe herrschte dagegen nur eine
schwache südöstliche Luftströmung. Die Fahrtgeschwindigkeit des
Ballons bewegte sich auf dem grösseren Teil der Strecke zwischen
872 und 9 m pro Sekunde. Später stieg sie auf 10 72 m pro Se-
— 115 -
kunde; nur gegen den Schluss der Fahrt, als sich der Ballon bereits
wieder in dem Bereich der untersten, mit ziemlicher Stärke direkt
aus Osten kommenden Luftströmung befand, wurde eine erhebliche
G^chwindigkeit erreicht. Die Wolkendecke lag tief, in einer Höhe
von 920 m, das sind 400 m über dem Abfahrtsorte, und war von
geringer Mächtigkeit ; sie betrug kaum 200 m, indem sie bereits bei
1120 m wieder endete. Oberhalb der Wolkendecke, auf welche der
volle Sonnenschein traf, in einer Höhe von 1210 m, konnten wir
eine Wärme von 14,8^ aufzeichnen, so dass dortselbst die Tempe-
ratur nicht nur relativ, sondern auch absolut höher als am Erdboden
war. In der Höhe von 1670 m beobachteten wir eine Temperatur
von 11,0^. Yon hier ab erfolgte eine langsame Temperaturabnahme
mit der Höhe, 0,5® bis 0,3<> pro 100 m. In 3020 m Höhe wurden
noch 3,0® aufgezeichnet. In 3490 m Höhe 1,6®. Der Gefrierpunkt
lag bei 3650 m Höhe. Oberhalb der Null-Isotherme erfolgte eine
etwas schnellere, aber unregelmässigere Temperaturabnahme. Es
wurden in den Höhen von 3750 m —0,5®, 3880 m —1,8®, 4260 m
— 4,0®, 4380 m —5,2®, 4070 m —2,4® aufgezeichnet. Die Null-
Isotherme wurde auch beim Abstieg in der gleichen Höhe von
3650 m vorgefunden.**
Im weitern stellte uns der Präsident des internationalen
aöronautischen Komites, Prof. Dr. Hergesell, in liebenswürdiger
Weise die Beobachtungen der Herren Berson und Dr. Süring
zur Verfügung, die am selben Tage auf der 12. Fahrt mit dem
Berliner Vereinsballon gewonnen worden sind. Der bemannte
Ballon (von 1300 kbm Inhalt, mit 800 kbm Wasserstoff gefüllt)
stieg um 10 Uhi* 55 Minuten vormittags, also nahe zu gleicher
Zeit mit der „Wega**, in die Höhe, fuhr zuerst nach ESE, dann
nach SSE und landete schliesslich in WSW in der Nähe von Burg
a. Ihle bei Magdeburg; die Dauer der Fahrt betrug 6 Stunden 23
Minuten, die Länge 118 km, die mittlere Geschwindigkeit 5,3 m
pro Sekunde. Wir entnehmen den Beobachtungen die nachstehende
Zusammenstellung :
— 116 —
Beobachtungen der Herren Dr. Süring und Berson auf
der 12. Fahrt des Vereinsballons am 3. Oktober 1898.
Zeit
Höhe
Temperatur
Rel. Feucht.
Dampf-
m
>
spannung
mm
stunde Min.
10. 50 a
45
14,3
65
7,86
10.55
Abfahrt
10.57
159
13,9
67
7,86
10.58
199
12,9
72
7,91
11.00
265
12,4
72
7,73
11.05
673
10,5
43
4,10
11.07
770
11,3
30
2,93
11. 10
840
11,9
68
7,02
11. 14
1010
11,8
79
8,11
11. 16
1074
12,4
75
8,06
11.18
1185
12,9
69
7,64
11.23
1430
12,3
67
7,13
11.27
1670
11,6
55
5,54
11.31
1820
10,1
57
5,28
11.351/2
2357
8,1
62
4,98
11.41
2823
4,6
68
4,32
11.47
3423
0,9
66
3,22
11.54
4180
— 2,3
11.59
4655
— 5,5
17
0,53
12.4 p
4892
— 5,9
22
0,64
12. 11
4961
6,8
22
0,60
12. 17
4920
- 6,1
12.22
5159
8,0
19
0,54
12.28
5174
- 8,1
18
0,44
12.32
5195
8,8
23
0,55
12.38
5511
— 10,2
40
0,84
12.52
5638
- 11,7
52
0,97
12.57
5664
12,9
64
1,09
1.06 p
5654
13,0
46
0,78
1.30
6034
-14,1
58
0,90
1.38
6168
— 15,4
41
0,57
1.45
6341
15,8
40
0,54
1.52
6623
— 16,8
36
0,44
1.58
6828
18,1
42
0,47
2.08
7090
— 20,0
39
0,37
— 117 —
Zeit
Höhe
Temperatur
Rel. Feucht.
Dampf-
«iOlv
m
7o
spannung
mm
Stand« Min.
2.17
7321
— 21,2
42
0,36
2.22
7345
21,5
51
0,42
2.24
7377
21,8
53
0,43
2.59
5064
- 7,1
19
0,50
3.07
5188
— 8,6
31
0,75
3.12
5103
- 7,8
24
0,61
3. 17
5010
- 7,3
25
0,66
3.24
4757
— 5,8
17
0,50
3.34
3954
- 1,0
32
1,35
3.55
3030
3,7
56
3,32
3.58
2838
4,6
52
3,32
4.12
2418
6,2
68
4,83
4.16
2095
6,9
81
6,00
4.22
1938
9,6
56
4,99
4.25
1797
9,6
75
6,69
4.31
1630
10,8
72
6,91
4.35
1375
11,8
74
7,64
4.37
1170
13,2
74
8,36
4.43
1045
13,6
71
8,16
5.18
Leichte L
andung in der Nähe von Bui
rg a. Ihle.
5.39
ca. 70
13,1
89
10,00
Die AuflFahrt des Berliner Ballons fand in einem reinen Hoch-
druckgebiet, nahe dessen centraler Partie, statt; die Fahrti'ichtung
war unbestimmt und die Fluggeschwindigkeit demzufolge gering.
In den untern durchfahrenen Scliichten ist auch das charakteristische
Zeichen des Hochdrucks, die Temperaturumkehrung und relative
Trockenheit deutlich vorhanden; in den höhern Schichten tritt ein
ziemlich starker Wechsel von trockenen und relativ feuchtem
Schichten auf. Das Minimum der relativen Feuchtigkeit (ca. 20Vo)
wird, übereinstimmend beim Auf- und Abstieg, in der Höhenzone
von 4000 — 5200 m gefunden. Trägt man die beobachteten Tem-
peraturen bis zum höchsten Punkte der Berliner Ballonbahn, die
während des Aufstieges zeitlich sehr nahe mit den unsrigen kor-
respondieren, graphisch auf, so ergiebt sich nachstehendes sprechende
— 118 —
Bild der vertikalen Temperaturschichtung einerseits im barome-
trischen Maximum und andererseits für unser Grenzgebiet der
Südwestalpen, in der Nähe einer cyklonal gestörten Zone:
Vertikale Temperaturverteilung am 3. Oktober 1898.
T , . ^r . Über den Südwestalpen und
Im barometr. Maximum . , t»i x u- t
T i.^^ ^ ^ A anstoBsendem Plateau bis Jura
Lufttemperatur: C» Lufttemperatur: C«
(16,0) Mittlere Temperatur
13,2
Höhe in
Metern
500
1000
1500
2000
2500
3000
3500
3600
4000
4500
5000
5500
6000
6500
7000
7377
7500
11,5)
11,8
12,1
9,5
7,2
3,5J
0,5]
0,0
-1,7
-4,5
—6,5
—10,2
—14,0
—16,4
—19,3
—21,8
(-22,3)
Mittlere Temperatur
der Luftsäule:
.... 9,3
7,5
10,6
8,2
4,8
2,5
-1,01
—4,3
-7,0
-9,4
—13,4
—17,5
—21,5
der Luftsäule:
7,9
—10,6
Ein Blick auf diese Tabelle der vertikalen Temperaturschich-
tung zeigt ohne weiteres, dass die Temperatur der Luftsäule im
Hochdruckgebiet eine merklich höhere ist, wie diejenige unserer
Fahrzone über dem Gebiet der Südwestalpen, und zwar bis zu den
höchsten Höhen. Auffällig ist namentlich der Unterschied in der
vertikalen Temperaturschichtung von zirka 4000 m ab, bei 6500 m
steigt die Differenz zu Gunsten des barometrischen Maximums auf
volle 5 Grad. Unsere zahlreichen Beobachtungsreihen belegen also
wiederum in anschaulicher Weise die Thatsache, dass barometrische
Maximalgebiete relativ hochtemperierte Luftsäulen enthalten, wäh-
rend die Luftkörper der Zonen niedern Drucks und deren Nach-
barschaft verhältnismässig kalt sind, ein typisches Verhalten d6r
beiden atmosphärischen Hauptzirkulationssysteme — Cyclonen und
~ 119 —
Anticjclonen — , das uns durch die ausgezeichneten Arbeiten Hannos
auf diesem Gebiete schon lange bekannt und auch von Professor
Hergesell a. a. 0. einlässlich berührt worden ist.
Namentlich der Petersburger Ballon (Auffahrt 12 Uhr 37 M.,
Landung 3 Uhr 8 M. nachm., 140 km. südöstlich von Petersburg),
der direkt in einem Depressionsgebiete aufstieg, zeigte die stärkere
Abkühlung gegenüber dem Hochdruckkörper in augenfälliger Weise ;
er erreichte eine Maximalhöhe von 3400 m und fand hier bereits
eine Temperatur von — 9® C. vor. Die Thatsache, dass die inter-
nationalen simultanen Ballonfahrten des 3. Oktober das gleichzeitige
Studium ganz verschiedener Witterungsgebilde — eines Hochdruck-
gebietes und zweier Zonen niederen Drucks — ermöglichten, ist
gerade fui- die Beurteilung der Wichtigkeit dieser Fahrt von
höchster Bedeutung. Sie allein giebt Gewähr, wie Prof. Hergesell
mit vollstem Recht betont, dass die internationalen Ballon-
fahrten am 3. Oktober zu den gelungensten gezählt werden
dürfen, die je angestellt wurden.
Nach den oben gegebenen Zahlen berechnet sich für die
ganze Schicht zwischen 1500 und 7500 m — unter Ausschluss
der Temperatur umkehrenden Eegion — eine mittlere Temperatur-
abnahme von 0,56^ per 100 m im barometrischen Maximum; der
vertikale Temperaturgradient erreichte bei der Berliner Fahii in den
höhern und höchsten Schichten nirgends eine auflallige Grösse (0,48
bis 0,76^ per 100 m). In diesem Punkte weisen die in unserer frü-
heren Tabelle mitgeteilten Zahlen merklich grössere Werte auf.
Wir erhielten pro 100 m:
Für die Temperaturabnahme
m
von: 5000—5250
5250—5500
5500 — 5750
5750—6000
6000—6250
0,80]
0,76
0,90
0,68
0,76
6250—6500 0,84
0,79
Dagegen im barometrischen
Maximum resultiert:
m
von: 5000—5500 0,74
5500—6000 0,76
6000—6500 0,48
6500—7000 0,58
7000—7500 0,50
0,61
— 120 —
Diesen Daten mögen endlich noch die sehr interessanten
Pariser-Kegistrierungen beigefügt werden, welche mit dem zu Trappes
— vom Privatobservatorium des Herrn Teisserenc de Bort — um
11 Uhr 50 M. vormittags aufgelassenen Ballon sende »erhalten
worden sind ; wir verdanken deren Mitteilung wiederum de. zuvor-
kommenden Güte des Präsidenten des internationalen aeronautischen
Komites. Die Landung des Registrierballons erfolgte bei Mortagne
(Departement Ome), zirka 130 km westsüdwestlich von Paris, nach-
dem eine Höhe von 10500 m und eine Temperatur von — 35^ C.
erreicht war. Die Ballonsonde führte zwei ßegistrierapparate (Nr. 3
und Nr. 4) mit sich, welche nachstehende, je aus Auf- und Ab-
stieg berechnete, Mittelreihe für die Temperatur der durchflogenen
atmosphärischen Regionen lieferte:
Temperatur: 0®
Hohe
m
Apparat Nr. 3
Apparat Nr. 4
Aufstieg V. Trappes
b. /Paris
171
500
1000
16,9
14,1
9,6
16,9
13,0
9,8
1500
9,2
8,4
2000
8,9
7,9
2500
7,2
6,2
3000
4,8
3,6
3500
2,1
1,2
4000
—1,2
-1,6
4500
-4,0
-4,3
5000
-6,4
—6,8
5500
9,3
—8,9
6000
—12,3
-11,4
6500
—15,3
-14,2
7000
18,2
16,9
7500
20,8
19,6
8000
23,7
23,0
8500
—28,1
— 27,1
9000
— 31,8
—30,1
9500
34,4
—31,8
10100
35,2
—34,7
Die maximale erreichte Höhe betrug nach dem Barographen
von Nr. 3 10,433 m, nach den Angaben von Nr. 4 wenig mehr,
— 121 —
nämlich 10,509 m. Die Nulltemperaturschicht wurde, nach beiden
Instrumenten übereinstimmend, etwas über 4000 m gefunden,
nämli ^h :
^4-0,2<> in 4005 m um 11 Uhr 54 Minuten nach Nr. 3
(+0,1« „ 4125 , , 11 , 54 , . « 4
—2,10 „ 4431 , , 11 , 56 , « n 3
-2,6« „ 4681 „ „ 11 , 56 , . n 4
Die Registrierungen der Pariser Ballonsonde, deren Fahrkurve
Wenig südlich von der Grenze der barometrischen Maximalzone er-
folgte, ergaben für die Temperatur der obern Luftschichten von
3000 m ab durchweg noch etwas höhere Werte wie die Berliner
Beobachtungen; zweifellos flog die Parisersonde in dem aus der
nordwärts lagernden barometiischen Maximalzone entfliessenden
wärmeren Strome direkt gegen WSW an der westlichen Seite
der Teildepression entlang, während gegenteils unsere „Wega** von
dem aus der Cyclone entstammenden kälteren Strome, der
Druckverteilung entsprechend, an deren östlichen Seite nach NW
gefuhrt wurde. Berechnet man nach den obigen Angaben die
Temperaturgradienten für die einzelnen Schichten, so ergibt sich
nach halben Myriametern (// = 1000 m) geordneten Höhen:
0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5//
Temperaturgradient pro 100m: 0,85 0,90 0,08 0,06 0,340,480,54
4 4,5 5 5,5 6 6,5 7 /z
Temperaturgradient pro 100 m: 0,66 0,56 0,48 0,58 0,60 0,60 0,58
7,5 8 8,5 9 9,5 10,1 fi
Temperaturgradient pro 100 m: 0,52 0,58 0,88 0,74 0,52 0,13^0.
Als Mittelwert des Temperaturgradienten für die ganze LufU
säule (0—10,000 m) resultiert hieraus: 0,53<^.
Wir dürfen unsern Bericht nun füglich schliessen. Neben
dem ausserordentlich reichhaltigen und wertvollen Material hat die
denkwürdige internationale Fahrt vom 3. Oktober letzten Jahres auch
noch eines mit Sicherheit zu Tage gefördert, dass es in Zukunft
nun möglich sein wird, die wichtige Aufgabe in Angi*ifF nehmen zu
— 122 —
können, bestimmte Wetterlagen durch Ballonfahrten gründlich zu
studieren. Wie Prof. Dr. Hergesell selbst betont, war es bisher
nur möglich gewesen, internationale AuflFahrten an vorher genau
fixierten Zeitpunkten zu veranstalten; die Wetterlage, die dabei
erforscht wurde, war dem Zufall anheimgegeben. Die Fahrten des
3. Oktober haben aber den Beweis erbracht, dass es wohl möglich
ist, einen internationalen Ballonaufstieg auch so zu arrangieren,
dass gewartet wird, bis eine interessante, zur Erforschung geeignete
Wetterlage eintritt, wiewohl der Tag des Eintretens der gewünsch-
ten Druckverteilung vorher nicht bekannt ist. Wir verdanken diesen
bedeutsamen Fortschritt in erster Linie der rastlosen, weitsichtigen
Thätigkeit der internationalen aeronautischen Commission. Die
klassischen, vor bald einem halben Säkulum geschriebenen Worte
ölaisher's :
fl. . . that the ballon affords a mean of solving with advan-
tage many delicate questions in physics and that the observations
can be made with tolerable safety to the observer; and therefore
that the ballon may be used as a philosophical agent in many in-
yestigations. "
haben dm-ch unsere Fahrten vom 3. Oktober 1898 die vollste
Bestätigung erfahren.
Temperatnrabaahine mit der Höhe in der freien Ätniospliäre zwischen
den Schweiz. SW-Alpen und dem Jura am 3. Oktober 1898
wälirend der Wegafahrt.
Meerhühe in Meter
Temper
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